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Bistum Dresden-Meißen

Pater Waldstein für vorbehaltlose Versöhnung mit Tschechen

Wechselburger Samstage

Wechselburg ( jak) - Mit fast 20 Prozent Radikalen im tschechischen Parlament ist die Schmerzgrenze für die noch junge Demokratie im Nachbarland erreicht, betonte der Ettaler Benediktinerpater Angelus Waldstein bei einer Veranstaltung in der Reihe "Wechselburger Samstage", die am vergangenen Wochenende dem Verhältnis von Deutschen und Tschechen gewidmet war.

Angelus Waldstein, der sich über Jahre hinweg für die Aussöhnung zwischen beiden Völkern engagiert, vertrat die Ansicht, daß es deshalb heute mehr als an der Zeit ist, sich vom alten Kurs der ständigen Forderungen wie Rückführung als gesamte Volksgruppe zu verabschieden. Dies ist heute für die demokratischen Kräfte in Tschechien wenig hilfreich, betonte Waldstein.

Verstärkt wird dadurch nur die vorhandene Angst, die wiederum Wähler in das Lager der Kommunisten und rechtsradikalen Republikaner treibt. "Es ist entsetzlich, was sich die tschechische Demokratie von den Radikalen im Land bieten lassen muß, und wir sind dumm, wenn wir von außen diese Kräfte immer wieder mit den von ihnen gebrauchten und gesuchten Argumenten füttern."

Statt dessen favorisiert Pater Angelus eine Politik der Begegnung zwischen Tschechen und Deutschen, die beispielsweise vorbehaltlos auf dem Boden des Christentums wachsen kann. "Wer mit den Begriffen Buße, Vergebung und Schuld umgehen kann, mit dem habe ich eine gemeinsame Sprache gefunden, mit der sich eine Zukunft gestalten läßt", betonte Pater Angelus. Und gerade was in den vergangenen 50 Jahren von der Ackermann-Gemeinde - dem Zusammenschluß der katholischen Sudetendeutschen - geleistet wurde, sei dafür eine gute Grundlage. Schon wenige Jahre nach der Vertreibung habe sich die Ackermann-Gemeinde um die seit 1948 verfolgte Kirche in der damaligen Tschechoslowakei gesorgt. Schon damals mühte man sich um die Dämpfung von Haß- und Revanchegefühlen.

Die Ackermann-Frauen und -Männer der ersten Stunde wollten nicht nur zusehen, fordern oder sich an Gewesenes erinnern, sondern ganz konkret den einstigen Nachbarn helfen. Damit kam die Erklärung des Verbandes zur Versöhnung aus dem Jahr 1946 auf eine ganz besondere Art und Weise zum Tragen. Aus der Hilfe und den aufgebauten Kontakten der Ackermann-Gemeinde kam es nach dem Ende der kommunistischen Gewaltherrschaft in Tschechien zu einem Dialog, der Deutsche und Tschechen immer wieder zusammen an einen Tisch bringt. Fragen der Vergangenheit oder der Zukunft beider Völker in Mitteleuropa bilden Schwerpunkte der Begegnungen. Besonders wichtig ist für Pater Angelus der persönliche Kontakt, der immer wieder gesucht werden muß. Dabei, so forderte er, soll auch auf Rückschläge nicht negativ regiert werden. Wer jedoch Begegnungen von zum Teil utopischen Vorleistungen der Tschechen abhängig macht, der verschenkt eine wichtige Chance.

Pater Waldstein, aus der gräflichen Familie Waldstein, wurde im nordböhmischen Hirschberg geboren. Selbst vertrieben erinnerte er daran, daß vielen Tschechen heute die Problematik der Vertreibung gar nicht präsent ist, zu tief wirkt die jahrzehntelange Desinformation über die gemeinsame Geschichte von Deutschen und Tschechen in den Ländern der böhmischen Krone. Diese ist ohnehin, rein wissenschaftlich getrachtet, kompliziert genug.

Es ist nicht zu leugnen, daß es in der NS-Zeit erklärtes politisches Ziel war, Böhmen und Mähren zu germanisieren, betonte der Referent. Er selbst hatte einst von einem Hitlerjugendführer die Meinung gehört: "Es wird der Tag kommen, da werden in Böhmen und Mähren nur noch Deutsche leben." Anfänglich, so Angelus Waldstein, habe ihn als Junge diese Aussicht fasziniert. Doch dann dachte er nach, was aus den Tschechen wird, die er kannte, Leute aus Hirschberg und seine tschechischen Verwandten.

Das damals in der NS-Zeit und nach dem Zweiten Weltkrieg Geschehene ist für Pater Waldstein jedoch keine unvorbereitete Sache gewesen. Denn, was beiden Völkern jahrhundertelang als Basis des Zusammenlebens dienen konnte - die religiösen Werte des Christentums - traten im Zuge des Nationalismus seit Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Plötzlich war die Nation der höchste Wert, bei Deutschen und bei Tschechen. Und beide Nationen entwickelten eine Haltung, sich ringsherum von Feinden umzingelt zu sehen. Was für die Tschechen nach Hitlers Einmarsch in Wien vor 60 Jahren eine tatsächliche Bedrohung war und wurde. Heute ist es leider immer noch so, daß das übermächtige Deutschland aufgrund dieser Erfahrung als Bedrohung der nationalen Eigenstaatlichkeit der Tschechen betrachtet wird.

Daher und aus vielerlei anderen Gründen ist es für die Tschechen weiter so "wahnsinnig schwer" das Unrecht der Vertreibung zuzugeben, meinte Pater Angelus. Umso wichtiger ist es dagegen für die Deutschen, die Versöhnung voranzubringen. Angelus Waldstein: "Vernunft allein genügt nicht, es muß ein Ansatz des Herzens da sein, das ich einen anderen Menschen annehmen kann." Die heute noch lebenden Vertriebenen und ihre Nachfahren, die in der gesamten Bundesrepublik neue Wurzel geschlagen haben, haben jetzt die einmalige Chance, Baustein statt Sprengstoff zu sein.

Pater Angelus erinnerte aber daran, daß die Versöhnung noch lange kein gewonnener Prozeß ist. "Wir wissen nicht einmal, ob sie überhaupt möglich ist", meinte er. Letztlich ist alle bisher geleistete Arbeit doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein gewesen. Und irgendwie sind seiner Meinung nach die Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen vor dem Nachbarschafts-Vertrag beider Staaten schon besser gewesen.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 12 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 22.03.1998

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