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Bistum Erfurt

Ehemaliger Klosterraum wird Ort der Begegnung

Oberweimar

Oberweimar - Als vor zwei Jahren in Oberweimar eine kleine neue Kirche gebaut wurde und die Frage anstand, wem das Gotteshaus geweiht werden sollte, wünschten sich die Gemeindemitglieder der katholischen Filialgemeinde Regina Apostolorum die selige Lukardis als Patronin für ihre Kirche. Eine entsprechende Anfrage in Rom führte jedoch nicht zum Erfolg, da in den dortigen Archiven keine Unterlagen über einen Seligsprechungsprozeß der Ordensfrau aus dem Ende des 13. Jahrhunderts vorhanden sind. Vermutlich wird die Zisterzienserin nur im Volksglauben als Selige verehrt. Alljährlich jedoch gedenken katholische und evangelische Christen in Oberweimar am 22. März der seligen Lukardis. Die lange vergessene Ordensfrau wurde Mitte der 80er Jahre auf Anregung einer Frau aus der evangelischen Gemeinde durch Kirchenrat Dr. Herbert von Hintzenstern wiederentdeckt

Wer war diese Frau? Lukardis war vermutlich edler und reicher Herkunft. Sie wurde im Jahre 1276 in Erfurt geboren Im Alter von zwölf Jahren trat sie am 12. März 1286 in das Zisterzienser# Kloster in Oberweimar ein, das Mitte des 13. Jahrhunderts von den Grafen von Orlamünde gestiftet worden war. In seiner Blütezeit lebten in dem Kloster 40 Ordensschwestern. Der Tagesablauf der Zisterzienserinnen wurde durch den Wechsel von Arbeit und Gebet bestimmt. Siebenmal am Tag rief eine kleine Glocke aus einem Dachreiter der Klosterkirche die Frauen zum Gebet der Psalmen in das Gotteshaus.

Von Beginn ihres klösterlichen Lebens an war Lukardis eine Verehrerin des Leidens Christi. Als sie nach ihrer Einkleidung den Chor der Klosterkirche betrat, warf sie sich aus eigenem Antrieb vor dem Altar nieder und breitete ihre Arme in Kreuzform aus. Die strenge Äbtissin rügte die junge und in klösterlichen Bräuchen noch unerfahrene Frau und wies sie an, sich nur nach den Regeln des Ordens zu richten. Lukardis wurde mit dem Amt der Krankenmeisterin betraut, mußte dieses jedoch nach einem halben Jahr aufgeben, weil sie selbst von Krankheiten und Fieber heimgesucht wurde. Die Ärzte konnten die Ursachen ihrer Zustände nicht erkennen und verordneten falsche Arzneien, die ihre Leiden verstärkten.

Ihr Zustand verschlechterte sich so, daß sie ab dem 22. Lebensjahr wie gelähmt ans Bett gefesselt war. In dieser Zeit wuchs ihre Liebe zum leidenden Christus. Überlieferungen zufolge hatte sie Visionen, in denen sie den leidenden Christus am Kreuz sah. Eines Tages habe sie Christus zu ihr sagen gehört: "Lege deine Hände in meine Hände, füge deine Füße an meine Füße und schmiege dein Herz an mein Herz; so durch dich unterstützt, werde ich’s leichter haben." Lukardis gehorcht und fühlt im selben Augenblick den Schmerz der heiligen fünf Wunden; noch aber erschienen die Wunden nicht äußerlich.

Zwei Jahre nach dieser Vision erhielt Lukardis nach und nach die fünf Wundmale Christi und die Male seiner Geißelung. Anfangs verbarg sie die Wundmale unter Tüchern. Jeweils am Freitag waren die Schmerzen in den blutenden Wundmalen am stärksten. Dann lag Lukardis stundenlang mit ausgebreiteten Armen auf ihrem Bett. An Sonntagen ließen die Schmerzen nach und die Wundmale waren weniger sichtbar.

Nach der Überlieferung besaß Lukardis die Gabe, Künftiges vorauszuschauen und vorherzusagen. Als ihr ihre leibliche Schwester die Nachricht vom Tod der Mutter brachte, habe ihr Lukardis, obwohl sie nicht anwesend war, Ort, Tag und Stunde des Todes der Mutter genannt und die Kleider beschrieben, in die die Tote eingehüllt worden war, sowie die Leichenfeier.

Ein anderes Beispiel ihrer Sehergabe beschreibt Dr. M. Wieland in der Zisterzienserchronik vom 1. Juli 1898: "Eines Tages wünschte sie die brennenden Schmerzen etwas zu kühlen, und ersuchte die pflegende Mitschwester, zu diesem Zweck ein Wegerichblatt herbeizuholen. Diese bemerkte: Der Wegerich grünt ja noch nicht; es liegt noch alles voller Schnee. Die Dulderin aber sagte: ,Geh‘ an das und das Plätzchen und sofort wirst Du zwei Wegerichblätter, nicht mehr und nicht weniger, finden; bring’ sie mir!‘ Die Mitschwester fand wirklich zwei Wegerichblätter am angegebenen Ort."

Am 22. März 1309 starb Lukardis im Alter von 33 Jahren an ihrer schweren Krankheit - genau so alt wie Christus. In der Kapelle der seligsten Jungfrau Maria in Oberweimar fand Lukardis genau an der Stelle, an der sie oft gebetet hatte, ihre letzte Ruhe.

Katholische und evangelische Christen der Gemeinden von Oberweimar bemühen sich gemeinsam, das Gedenken an Lukardis mit Leben zu erfüllen. So unterstützen sie die Restaurierung eines Gewölbes zwischen Kirchenschiff und Turm der evangelischen Kirche, das zu den ältesten erhaltenen Teilen des ehemaligen Zisterzienserklosters gehört. Das Gewölbe trägt den Namen Lukardis und soll Begegnungsstätte für Menschen unterschiedlicher Konfessionen und Nationalitäten werden. Dietrich Freier

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 12 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 22.03.1998

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