Ärzte in Not
Tagung
Bad Kösen (mh) - "Ärzte sind heute in ethischer Not. Sie fragen: Wie sollen wir uns verhalten?" So brachte der Jenaer Mediziner Eggert Beleites eine entscheidende Frage auf den Punkt. Denn die Tagung, zu der die drei Katholischen Akademien Dresden, Erfurt und Magdeburg nach Bad Kösen eingeladen hatten, zeigte die rasant gewachsenen Möglichkeiten der Medizin und deren Folgen. Aufgrund des Kenntniszuwachses sei es zur "ethischen Not der Mediziner gekommen", sagte Beleites. Ärzte stehen häufig vor der Frage, ob das medizinisch Mögliche auch sinnvoll ist. Bei der Lösung dieser Frage wollen sie die Gesellschaft verstärkt einbeziehen.
Vor allem Anfang und Ende des Lebens haben Molekularbiologie, pränatale Medizin und Intensivmedizin einschneidend verändert, das verdeutlichten die Referenten. Gab es beispielsweise 1936 in Deutschland nur vier Überhundertjährige, sind es heute fast 5000. Wohl auch aus der ethischen Not heraus - Beleites wertete es als positiven Wandel in der Einstellung der Ärzteschaft - haben die Ärzte erstmals ihre "Richtlinien zur Sterbebegleitung" öffentlich diskutiert. Im Vergleich mit früheren Richtlinien zeigt der jetzige Entwurf, daß die Ärzte den Einzelnen und die Gesellschaft bei der Frage des Umgangs mit Menschen am Lebensende in die Verantwortung nehmen wollen. Zwar erteilen die deutschen Ärzte nach wie vor einer aktiven Sterbehilfe eine klare Absage, ansonsten aber wird der Wille des Patienten an die erste Stelle gerückt.
Ein spezielles Problem moderner Medizin: die Wachkoma-Patienten, bei denen die Bewußtseinsaktivität erloschen ist, andere Funktionen aber intakt sind. Wachkoma-Patienten - eine "Errungenschaft moderner Medizin", so Beleites - müssen von der Gesellschaft versorgt werden. Angesicht der wachsenden Zahl sowie der Kosten, die Beleites mit etwa 20 000 Mark im Monat pro Patient bezifferte, und vor allem der Frage nach Lebenswert und Lebensqualität müsse die Gesellschaft über den Umgang mit ihnen diskutieren.
Wie schwierig sich eine solche Diskussion gestalten kann, zeigte der Leipziger Internist Dieter Lohmann, indem er die Ansprüche des modernen Menschen an die Medizin verdeutlichte: Diese seien völlig überzogen. "Gesundheit ist heute so etwas wie ein soziales Recht, das man einklagen kann." Künftig werde nicht mehr alles machbar sein, was möglich ist, nicht nur aus finanziellen Gründen. Heute schon stehe das Problem etwa bei Nierentransplantationen, denn nur für jeden vierten Pat-ienten gibt es eine Spenderniere. Auch die Frage der Spendenbereitschaft gehöre in eine gesellschaftliche Diskussion.
Konsequenterweise fragte der Chefarzt des Erfurter Katholischen Krankenhauses und Vorsitzende der Katholischen Ärztearbeit Deutschlands, Rudolf Giertler, in der abschließenden Diskussion: "Haben wir Mediziner eine Sehnsucht nach Ethik?" Deutlich wurden hier vor allem Defizite in der Medizinerausbildung angesprochen.
Die Diskussion aber war ein Schritt in die richtige Richtung, denn sowohl der beteiligte Ethiker, der Jurist wie der Politiker zeigten ihre Bereitschaft, sich an der Suche nach Lösungen zu beteiligen: Der Erfurter Moraltheologe Josef Römelt betonte, daß es darum gehen müsse, Hilfen für realistische Lösungen zu erarbeiten. In der Medizinethik gehe es etwa um die Frage des bewußten Verzichts auf den Einsatz von Technik. Es müsse eine sachgerechte Balance zwischen dem "Menschen in seiner Würde" und dem "Menschen in seiner Begrenztheit" gesucht werden.
Der Hallenser Jurist Hans Lilie begrüßte am Beispiel der Diskussion über die Sterbebegleitungs-Richtlinien die "Überwindung der Sprachlosigkeit" zwischen Juristen und Medizinern und ermunterte zu weiteren Gesprächen. Der Politiker, der sächsische Staatssekretär Albin Nees, unterstrich die Notwendigkeit bei der Diskussion auf das gesellschaftlich Durchsetzbare zu achten. Zugleich warnte er vor der Gefahr, die durch die Manipulation gesellschaftlicher Meinung vor allem durch die Medien ausgehe. (Seite 12)
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 05.04.1998