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Aus der Region

Verein fördert soziale Projekte

Heiliges Land

"Wenn es irgendwie möglich ist, werde ich sofort wieder nach Betlehem gehen", sagt die 24jährige Kölnerin Susanne Sander. Die Theologiestudentin und zukünftige Gemeindereferentin arbeitete für einige Wochen als Helferin im "Kinderheim der Heiligen Familie" in der Stadt, in der auch Jesus Christus geboren wurde, und hatte dabei alle Hände voll zu tun: 75 Babies und Kleinkinder leben in dem von Ordensschwestern geleiteten Haus. Wenn sie das Heim zu einem Spaziergang verließ, hatte Susanne Sander fast immer gleich mehrere Kinder auf dem Arm und an der Hand.
Fünf Ordensschwestern eröffneten das Haus für Kinder in Not im Jahr 1989. Unter Leitung von Schwester Sophie, einer temperamentvollen Ordensfrau aus dem Libanon, wollen sie Kindern, die ohne Familien aufwachsen, emotionale Zuwendung, Wärme und Förderung in den wichtigen ersten Jahren ihres Lebens geben.

Mit viel Mühe und wenig Geld versuchten die Schwestern die großen Säle eines ehemaligen Klosters und Hospitals kindgemäß zu gestalten. Farbige Wände mit bunten Bildern geben den Räumen eine freundliche Atmosphäre. Den Kindern ein Zuhause zu geben, ist das Anliegen der Schwestern. Ein Zuhause, das die fehlende Geborgenheit in einer Familie kompensiert.
Die Kinder sind Opfer der politischen Verhältnisse. Der ständige Machtkampf zwischen Israel und dem neuen Staat Palästina produziert immer mehr soziales Elend, vor allem bei den Palästinensern. Viele Familien haben Land und Haus verloren, finden keine bezahlte Arbeit.

Wachsende Armut bringt vor allem Mütter und Kinder in Bedrängnis. Zusätzlich bringt ein unbarmherziger rigider Moralkodex Leid über sie. Sie werden verachtet, ausgestoßen und verfolgt, weil Männer die Schwangerschaft ihrer Schwestern, Töchter oder Schwägerinnen als Schande und Verletzung ihrer Ehre betrachten.
Die Schwestern des Kinderheims sind fast täglich mit den Folgen dieser Auffassungen konfrontiert, die immer alle Schuld den Frauen anlasten. Die Schicksale vieler Kinder ähneln sich. Sie sind unwillkommene Kinder. Einige wurden irgendwo nach der Geburt abgelegt. Eines der Babies fand man im Müll. Von anderen haben sich die Mütter getrennt, weil die Männer sie dazu nötigten oder weil sie zur Abtreibung gezwungen werden sollten. Für die Frauen ist es sehr schmerzvoll, ihre Kinder zurücklassen zu müssen.

Im vergangenen Jahr wurde eine 36 Jahre alte Frau, bereits Mutter von zwei jugendlichen Kindern, die seit zehn Jahren verwitwet war, von ihrem Bruder und dem Schwager zu den Schwestern gebracht. Sie war im achten Monat schwanger. Die beiden Männer bestanden auf einer Abtreibung. Die Schwestern nahmen die Frau auf in der Hoffnung, sie könnte heimlich ihr Kind durch einen Kaiserschnitt vorzeitig zur Welt bringen und dann heimkehren. Doch die beiden Männer kamen bereits vor der geplanten Operation wieder und zwangen die schwangere Frau mitzukommen. Nach einigen Tagen wurde sie mit ihrem ungeborenen Kind ermordet aufgefunden. Sicher ein extremes Beispiel für Gewalt gegen Frauen. Doch immer wieder kommen vor allem junge Frauen zu den Schwestern und bitten um Aufnahme. Sehr lange konnten sie eine Schwangerschaft unter ihren langen arabischen Kleidern verbergen. Da sie aber nicht abtreiben wollen, bleibt ihnen nur ein Ausweg, sie müssen heimlich entbinden und zurückkehren, allein.

Der kleine Ayman, inzwischen zehn Monate alt, ist heimlich von einer jungen Palästinenserin zur Welt gebracht worden, die von einem 17jährigen vergewaltigt worden war. "Doch es ist immer die Frau, die als lasterhaft betrachtet wird", kommentiert Schwester Sophie verärgert das Erzählte. Vor der Gründung des neuen Palästinenserstaates war es für die Schwestern möglich, das eine oder andere Kind zur Adoption in eine Familie in Europa zu vermitteln. Das ist jetzt unter den islamisch geprägten Gesetzen nicht mehr möglich. Bis zum sechsten Lebensjahr bleiben die Kinder im "Heim der Heiligen Familie", dann müssen sie in anderen Heimen untergebracht werden. Die Kinder brauchen nicht nur Hände, die sie aufheben, sie spüren lassen, daß sie geliebt werden und sie trösten, wenn sie Hunger haben. Sie brauchen auch Kleidung, medizinische Betreuung und ihr tägliches Essen. Und das sind Kosten, die den Schwestern ständig Sorgen machen. Allein für die Lebenshaltungskosten müssen sie etwa 30 000 Mark im Monat aufbringen.
Im Rahmen seiner Möglichkeiten kommt der Deutsche Verein vom Heiligen Lande für jeweils einen Monat im Jahr für die Kosten auf. Dieser Teilbetrag entlastet die Schwestern wenigstens etwas. Er macht sie ein wenig sorgloser. Damit können sie sich mehr ihrer eigentlichen Aufgabe widmen, den Kindern Sicherheit und Geborgenheit zu geben.

Bei der Auswahl ihrer Mitarbeiterinnen und Helferinnen sind die Schwestern kritisch. Sie achten vor allem darauf, daß der Umgang der Frauen mit den Kindern liebevoll ist. Die deutsche Helferin Susanne Sander brachte gute Voraussetzungen mit und paßte ins Team. Sie gab den Kindern liebevolle Fürsorge und bekam von ihnen die Freude über diese Zuwendung zurück. Sie hatte bereits Erfahrung gemacht mit der Begleitung von Sterbenden in einem Hospiz. Danach war sie auf der Suche nach Begegnungen mit dem Anfang des Lebens. Sie wollte eine Kontrasterfahrung machen. Der Deutsche Verein vom Heiligen Lande bot ihr diese Möglichkeit in der Kinderkrippe in Betlehem. Er bezahlte ihr die Fahrt und zusätzlich ein Taschengeld für die Zeit ihres Aufenthaltes.

Auch wenn ihr Praktikum in Betlehem schon einige Monate zurückliegt, fühlt sie sich mit den Kindern in der Geburtsstadt Jesu noch immer verbunden.
Ernst Herb

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 15 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 12.04.1998

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