Wege zum Dialog in Rußland
Ökumene
Frage: Seit einigen Jahren unterstützt die Partnerschaftsaktion Ost das orthodoxe theologische Institut St. Tichon in Moskau. Kann die Förderung dieses Projektes dazu beitragen, das gegenseitige Verständnis der beiden Kirchen zu fördern?
Hesse: Zu den Schwerpunkten des Institutes St. Tichon gehört die Theologenausbildung. Eine umfassende Bildung des orthodoxen Priesterstandes ist Voraussetzung für einen fruchtbringenden ökumenischen Dialog in den Ländern der ehemaligen Sow-jetunion.
Ein führender weißrussischer Geistlicher der orthodoxen Kirche hat es einmal sehr drastisch ausgedrückt: "Unsere Priester sind Kuhhirten." Ihnen fehlt die Ausstrahlung und deshalb auch der Zulauf, den die - zumeist polnischen - Geistlichen der katholischen Kirche haben.
Vielerorts, nicht nur in Weißrußland, ist es so zu einem unguten Konkurrenzkampf der Konfessionen gekommen, der die Ökumene in keiner Weise voranbringt.
Frage: Wieso haben Sie gerade diese theologische Einrichtung ausgewählt?
Hesse: Das Schweizer Institut "Glaube in der Zweiten Welt" hat den Kontakt vermittelt. In gewisser Weise ist unsere Auswahl zufällig erfolgt. Wir sind froh, daß wir dort auf sehr intelligente, gute und symphatische Ansprechpartner gestoßen sind. Es gibt durchaus auch orthodoxe Priesterausbildungsstätten, die sehr konservativ und mitunter auch westfeindlich sind. Dort sind starke Vorbehalte gegenüber der katholischen Kirche vorherrschend, die zum Teil allerdings nicht unberechtigt sind.
Übrigens hat auch der Moskauer Patriarch Alexej II., der sehr aufgeschlossen für die Ökumene ist, befürwortet, daß wir und in erheblich umfangreicherem Maße seit kurzem auch die Aktion Renovabis das Institut St. Tichon unterstützen.
Frage: Bekommen Sie Vorbehalte gegenüber Katholiken bei Ihren Rußlandreisen auch persönlich zu spüren?
Hesse: Ich frage sehr gezielt nach, was meine Gesprächspartner wirklich über uns denken. Dabei stoße ich auf Ressentiments, die uralte historische Wurzeln haben, z.B. ist die Besetzung Moskaus durch das polnisch-litauische Reich unvergessen. 1610 bis 1612 haben die Besatzer im Kreml katholische Gottesdienste gefeiert.
Auf Ablehnung stoßen auch heutige Verhaltensweisen der Katholiken in Rußland. Beispielsweise geschieht der Aufbau der römisch-katholischen Caritas in Moskau und Nowosibirsk zum Teil gegen den Willen der Orthodoxen. Ein Caritas-Kinderheim in Sibirien wird von der Bevölkerung als Fremdkörper empfunden und kaum angenommen. Auch wenn das nicht immer einfach ist: Grundsätzlich halte ich es für besser, Strukturen zu stützen, die sich im Land selbst herausbilden, anstatt Fremdes einzupflanzen.
Frage: Welche Möglichkeiten sehen sie darüber hinaus, die katholisch-orthodoxe Ökumene zu fördern?
Hesse: Ich denke, die Pflege persönlicher Kontakte ist das A und O. Wer noch nie Kontakte gehabt hat, unterliegt der Versuchung, aufeinander zu schimpfen, viel schneller.
Interview: D. Wanzek
Siehe Seite 17
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 12.04.1998