Die Stadt der Fastentücher
Zittau
Zittau / Dresden (jak) - "Die Leute wissen, warum sie nach Naumburg oder Colmar fahren. Dom, Uta und Isenheimer Altar sind Symbole geworden und ziehen Jahr für Jahr hunderttausende Besucher an. Warum sie aber ins vergleichsweise gleich große Zittau kommen sollen, wissen sie nicht", sagte der Direktor des Stadtmuseums Zittau, Dr. Volker Dudeck. "Abhilfe" und damit Aufschwung im Fremdenverkehr soll jetzt die Dauerausstellung der beiden Zittauer Fastentücher schaffen. Im Jahr 1999 wird es soweit sein, daß sie in der Zittauer Kreuzkirche - die heute städtisches Eigentum ist und zur Zeit saniert wird - gezeigt werden. Dann kann sich das entwickeln, wovon Volker Dudeck jetzt schon träumt: "Zittau, die Stadt der Fastentücher".
Keinen Zweifel an der Bedeutung ließ Prof. Friedhelm Mennekes (SJ) aus Köln. Für den Kunstexperten stehen biblische Darstellungen auf Fastentüchern an der Grenze zwischen Volkskunst und hoher Kunst. Wobei das große Zittauer Fastentuch seiner Meinung nach weit in den zweiten Bereich hineinragt. Friedhelm Mennekes und Volker Dudeck kamen auf einer Pressekonferenz des Katholischen Bibelwerkes in Dresden zu Wort, auf der sie ihre Publikation "Die Zittauer Bibel - Bilder und Texte zum großen Fastentuch von 1472" vorstellten. Jedem Bild sind die entsprechenden Bibeltexte zugeordnet, dazu kommt eine kurze Erklärung aus der Hand von Prof. Menneckes. Von Volker Dudek stammt das Nachwort "Die Zittauer Bibel / Gestern - Heute - Morgen".
Er machte in Dresden deutlich, daß Fastentücher einzigartige Zeugnisse mittelalterlicher Frömmigkeit und heute sehr selten sind. Während der vorösterlichen Bußzeit wurde so der Altar verhängt und doch die Botschaft der Bibel dem Volke in Bildern vermittelt. Das ist es auch, was die "Zittauer Bibel" nicht nur für die Fastenzeit interessant macht. Die Komplexität beschränkt sich auf zwei wesentliche Fundamente: die Thora und das Evangelium. Für Prof. Mennekes "eine handfeste Kurzfassung für eine erzählerische Verkündigung". Die Geschichten von der Schöpfung, von den Ersten Menschen, von Noah, von den Erzeltern, von Josef bis Mose werden erzählerisch, spannend und plastisch entfaltet und über die Kindheitsgeschichten aus den Annen- und aus den Marienlegenden zu den Erzählungen aus Jesu Leben, Leiden und Auferstehen geführt.
In der Pressekonferenz wies der Direktor des Stadtmuseums Zittau auf die wechselvolle Geschichte des Fastentuches hin. Nur ein Beispiel: Nach dem Zweiten Weltkrieg wären es fast für immer verloren gewesen. Russische Soldaten zerschnitten die Tücher und benutzten sie zum Auskleiden einer Sauna. Danach lagen sie achtlos, verdreckt und durchnäßt im Wald. Es ist einem alten Mann zu verdanken, daß sie gerettet wurden. Er kannte die Tücher, fand das Werk der Zerstörung, lud es auf seinen Wagen und brachte die Tücher in das Zittauer Stadtmuseum zurück.
Nach der Wende wurden sie in der Schweiz restauriert und anschließend 1996 in der "Kunststation St. Peter" Köln, die Friedhelm Mennekes leitet, ausgestellt.
"Die Zittauer Bibel", Hrsg. Friedhelm Mennekes, Verlag Katholisches Bibelwerk, 79 Mark, ISBN 3-460-33142-9
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 12.04.1998