Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Aus der Region

200. Geburtstag der Dichterin

Annette Droste-Hülshoff

Als Annette von Droste-Hülshoff 1841 ihre Novelle "Die Judenbuche" vollendet hatte, teilte sie es ihrer Schwester in folgendem Satz mit. "Ich habe jetzt eine Erzählung fertig, von dem Burschen im Paderbörnchen, der den Juden erschlug, von dem Junkmann aber sagt, die Paderborner würden mich auch totschlagen, wenn ich sie herausgäbe." Das ist sicher übertrieben. Aber Grund zur Betroffenheit hätten die Paderborner schon gehabt. Die Droste schildert nämlich die Entwicklung eines Jungen zum Mörder, auf dessen Lebensweg es keinen einzigen Menschen gibt, der ihm zum Guten geholfen hätte, nicht einmal jemanden, der ihm durch seine eigene Redlichkeit ein Beispiel gegeben hätte. Alle Gespräche mit Friedrich Mergel, dem späteren Mörder, verlaufen in einer lauernden, mißtrauischen Atmosphäre

Die literarische Epoche, in der die Novelle entstand, wird als "Vormärz" bezeichnet. Das heißt, es war die Zeit vor der Revolution von 1848, in der die sozialen Ungerechtigkeiten zunehmend ins Blickfeld der Literatur gerieten

Annette von Droste-Hülshoff hat diese sozialen Probleme nicht geleugnet. Sie hat jedoch stärker die moralische Verpflichtung des Einzelnen für den Mitmenschen hervorgehoben. Sie war eine gläubige Katholikin. Als Tochter eines alten westfälischen Adelsgeschlechts wuchs sie in den Vorstellungen ihres Standes auf. Zum entstehenden Industrieproletariat der großen Städte hatte sie keine Verbindung. Sie ist auch nicht viel in der Welt herumgekommen. Und doch hat sie aufmerksam die Erschütterungen ihrer Zeit wahrgenommen und auf die ihr gemäße Weise gestaltet

Neben der "Judenbuche", dem einzigen vollendeten Prosawerk der Dichterin, liegt ihre Bedeutung auf dem Gebiet der Lyrik. "Der Knabe im Moor" und "Das Hirtenfeuer" gehören zu den besten deutschen Balladen. Die naturnahen und stimmungsvollen Landschaftgedichte erschließen den poetischen Zauber von Heide, Moor und Seen Westfalens. Die Natur vermittelt dem Menschen sowohl Geborgenheit als auch Fremdheit und Gefährdung. Letztlich bleibt sie undurchschaubar und unverfügbar

Berühmt, aber heute nur noch wenig gelesen ist ihre Sammlung "Geistliches Jahr", Gedichte zu den Sonn- und Feiertagen des Kirchenjahres. Ursprünglich als Andachtsbuch für die fromme Großmutter geplant, geriet sie zu einem Gedichtbuch, in dem sich innere Zerrissenheit, tiefe Glaubenszweifel und Ängste aussprechen. 1820 schrieb die Droste über das Buch: "Für die Großmutter ist und bleibt es völlig unbrauchbar ... denn ich habe ihm die Spuren eines vielfach gepreßten und geteilten Gemütes mitgeben müssen. Es ist für die geheime, aber gewiß sehr verbreitete Sekte jener, bei denen die Liebe größer ist wie der Glaube." Annette von Droste-Hülshoff wurde 1797 auf einer westfälischen Wasserburg geboren. Dort und auf den Gütern ihrer Verwandtschaft wuchs sie auf

Nach dem Tod des Vaters bezog die Mutter mit den Töchtern Annette und Jenny ihren Witwensitz, Hof Rüschhaus vor Münster. 1834 heiratete Jenny den um vieles älteren Joseph von Laßberg und ging mit ihm in die Schweiz. 1841 zog die Droste zu ihnen und lebte bis zu ihrem Tod am 24. Mai 1848 auf Schloß Meersburg am Bodensee

Ihre glücklichsten und dichterisch produktivsten Monate hat sie dort erlebt, als Levin Schücking von September 1841 bis April 1842 als Bibliothekar auf der Meersburg wohnte. Ihre Liebe mußte vor der Familie verheimlicht werden ebenso wie die bittere Enttäuschung, als Schücking sich 1843 mit der Schriftstellerin Louise von Gall verlobte. Nach dem Mißerfolg ihres ersten Gedichtbuches fand Annette von Droste-Hülshoff mit der "Judenbuche" und dem zweiten, 1844 erschienenen Gedichtband Anerkennung und konnte sich von dem Erlös sogar ein Weingut kaufen. So wurde ihr die Gegend um den Bodensee zur zweiten Heimat. Auf dem Friedhof von Meersburg liegt sie begraben. Jürgen Israel

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 20 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 17.05.1998

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps