Pater Damian
Erfolg von unerwarteter Seite
Im alten Rom, so wird erzählt, gab es einen Schuster, der einen Raben besaß. Dieser Schuster hatte es sich in den Kopf gesetzt, seinem Raben das Sprechen beizubringen. Nach des Tages Arbeit zündete der Mann Abend für Abend die Ölfunzel an, setzte sich dem Vogel gegenüber und begann wohlgeformte Worte zu sprechen. Oft bis tief in die Nacht.
Der Rabe betrachtete ihn misstrauisch, bald neugierig, bald nachdenklich, pickte auch ab und zu ein Korn auf, das ihm der Schuster zur Ermunterung hinstreute. Aber wie sehr sich der Mann auch Mühe gab, dem Vogel Erhabenes vorzusprechen: Der Rabe schwieg und äugte; er schwieg und fraß. Kein Wunder, dass den Schuster zuweilen gelüstete, dem verstockten Biest den Hals umzudrehen. Aber das brachte er dann doch nicht fertig, nachdem er nun schon so viel Sorgfalt angewandt hatte.
Und so pflegte er, wenn er zu nächtlicher Stunde den Raben schließlich wieder in den Käfig sperrte und die Funzel löschte, nur ärgerlich zu brummen: "Öl und Mühe vergebens!" Da, eines Nachts, als des Schusters Geduld nur noch an einem seidenen Faden hing, plusterte sich das Rabenvieh auf, öffnete den Schnabel und sprach. Rau, aber nachdrücklich: "Öl und Mühe vergebens!" (nach Rochus Spiecker).
Nur eine witzige Geschichte? Mir scheint, darin steckt eine Erfahrung, die wir auf vielen Gebieten im Umgang mit Menschen machen. Oft mühen wir uns voll bester Absicht ab, ohne sichtbaren Erfolg! Und dabei hatten wir es so gut gemeint, hatten wohlüberlegte Methoden angewandt, die neuesten Erkenntnisse der Psychologie und Pädagogik berücksichtigt, gezielt das beste Beispiel gegeben, um Menschen zu überzeugen und zu erziehen. Eltern wissen davon ein Lied zu singen. Sie haben doch ihr Bestes gegeben! Und dann stellen sie fest: Was auf die Kinder einen tieferen und positiven Einfluss ausübte, sind oft Stunden ihrer eigenen Schwäche und des demütigen Zugeständnisses ihrer Niederlage. Wenn sie das vor den Kindern ehrlich zugaben, eröffneten sich plötzlich andere Ausgangspositionen und neue Chancen. Mancher Lehrer hat entdecken müssen, dass seine Musterschüler im späteren Leben oft weniger erfolgreich sind als die unbequemen und undisziplinierten Schüler, die manchen Tadel und manche Strafe einstecken mussten.
Der Rabe des Schusters liebte das herzhafte Schimpfen seines Herrn, seine brummelnde Anhänglichkeit, nicht seine erhabenen Worte. Eine tröstliche Geschichte.
Pater Damian Meyer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.02.2001