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Aus der Region

"Wir sind Österreich Hilfsbereitschaft schuldig"

Sachsen beherbergt Kardinal Groer

Der sexueller Vergehen beschuldigte Kardinal Hans Hermann Groer hält sich zur Zeit im Kloster der Nazarethschwestern von Goppeln im Bistum Dresden-Meißen auf

Fragen an Bischof Joachim Reinelt. Bischof_Reinelt, Dresden

Frage:Was bewegte Sie, Kardinal Groer Gastrecht im Bistum Dresden-Meißen zu geben, und wie kam es dazu?
Reinelt:Wir wissen uns allesamt verpflichtet zu helfen, damit in der Kirche unseres Nachbarlandes Österreich wieder einigermaßen Ruhe einkehren kann. Der Besuch des Heiligen Vaters in Österreich fände ja sonst in einer schrecklich spannungsgeladenen Atmosphäre statt. Der Papst wird sowieso manche schwere Last der österreichischen Kirche zu tragen haben. Deshalb haben wir dem Wunsch des Heiligen Vaters und Österreichischer Bischöfe entsprechend gehandelt, zumal wir DDR-Katholiken der Katholischen Kirche Österreichs sehr viel zu verdanken haben. Besonders die Caritas Österreichs, aber auch Kardinal König mit seinem Team, haben für uns großzügige Unterstützung geleistet, da Wien das einzige für die DDR-Katholiken durch die kommunistischen Machthaber geöffnete Tor zum Westen sein durfte. Wir sind also auch von daher Hilfsbereitschaft schuldig. Die Nazarethschwestern von Goppeln haben deshalb das Gastrecht gewährt.

Frage:Ist die Dauer des Aufenthaltes von Kardinal Groer begrenzt?
Reinelt:Ich wurde nur für eine begrenzte Zeit um eine Aufenthaltsmöglichkeit gebeten.

Frage:Wie wird sich Kardinal Groer während seines Aufenthaltes im kirchlichen Raum und in der Öffentlichkeit bewegen?
Reinelt:Kardinal Groer ist schwer krank. Schon aus diesem Grund ist ein öffentlicher Auftritt nicht möglich. Daß er seinen Gebetsverpflichtungen und der Feier der Messe nachkommt, ist selbstverständlich.

Frage:Wie sollen die katholischen Christen, die Menschen in Goppeln und Dresden mit dem Besuch umgehen?
Reinelt:Da ist sehr interessant, was mir die Schwestern vom Goppelner Gastwirt gesagt haben: Er war wütend über die Fernsehleute, die ihn zu einem negativen Urteil gegen die Schwestern provozieren wollten. Dieser Mann, der kein Katholik ist, hat die Schwestern mit aller Entschiedenheit verteidigt und großes Verständnis dafür aufgebracht, daß die Schwestern den Mut haben, einen derart von den Medien verfolgten alten, kranken Mann bei sich aufzunehmen, obwohl sie damit rechnen mußten, daß das so mancher nicht versteht. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, wie die weltlichen Medien in diesem Fall das sonst selbstverständliche Wort "mutmaßlich" weglassen. Für sie gilt offensichtlich die Täterschaft Groers als nachgewiesen. Im übrigen sind die Altersheimbewohner und Mitarbeiter gut informiert und akzeptieren, daß die Schwestern auch in diesem Notfall Hilfe leisten. Grundsätzlich gilt für uns als Christen: In aller Schärfe gegen das Böse ? mit Barmherzigkeit gegen den Sünder.

Frage:Hätte denn Kardinal Groer auch dann Aufnahme gefunden, wenn er statt Kardinal beispielsweise einfacher Religionslehrer im Ruhestand wäre?
Reinelt:Selbstverständlich gilt Barmherzigkeit gegenüber jedem Menschen. Da spielt das Ansehen des Berufes, des Standes oder der Person überhaupt keine Rolle. So hat es die Kirche immer gemacht, dabei wollen wir bleiben. Das ist natürlich unbequem, aber ein bequemes Christentum wäre Verrat am Evangelium. Ich möchte hier ausdrücklich hinzufügen, um jedes Mißverständnis zu vermeiden, jedes und wäre es auch nur das geringste sexuelle Vergehen an Kindern ist für uns Christen abscheulich. So etwas dürfen wir bei niemandem einfach durchgehen lassen. Ich hätte den Gerichtsweg gewählt, um endlich einen Schlußstrich unter die Sache ziehen zu können

Interview: Holger Jakobi

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 20 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 17.05.1998

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