Das Interview
Caritasdirektor Kutschke zum Jahresthema
Frage: Das Jahresmotto der Caritas heißt: "Einsam.". Einsamkeit zeigt sich in verschiedenen Formen. Wie will sich die Caritas im Bistum Dresden-Meißen dem Problem stellen?
Kutschke: Mit dem Jahresthema will die Caritas auf Menschen aufmerksam machen, denen jegliche Beziehung zu Mitmenschen fehlt, die sich zurückgezogen haben, die vergessen sind oder mit ihrem Leben nicht mehr zurecht kommen. Diese Einsamkeit geht so weit, dass bundesweit im Jahr mehr Menschen durch Selbsttötung ums Leben kommen als durch Verkehrsunfälle.
Caritas hat sich dem Problem schon immer gestellt, doch in diesem Jahr soll es einen besonderen Stellenwert bekommen. Dabei geht es nicht nur um alte Menschen. Einsamkeit gibt es in allen Altersgruppen und die Gründe sind vielschichtig. Einsamen Menschen wollen wir in unseren Diensten und Einrichtungen das Gefühl vermitteln, dass sie willkommen und angenommen sind und wir müssen ihnen zeigen, dass sie in schwierigen Situationen nicht allein gelassen werden. Es ist aber auch ein wichtiges Handlungsfeld für die ehrenamtlichen Mitarbeiter in unseren Pfarrgemeinden. Einsame besuchen ist eine urchristliche Forderung an uns alle.
Auch in der Öffentlichkeit werden wir verstärkt auf Ursachen in der Gesellschaft hinweisen, die dazu beitragen, dass Menschen in die Einsamkeit gedrängt werden.
Frage: Wie und was kann die Caritas in der Diaspora von einem Jahresthema umsetzen? Ist ein solches Thema eher Last oder Chance?
Kutschke: Die Diasporasituation ist uns bewusst und damit auch die Tatsache, dass wir nicht flächendeckend unsere Dienste anbieten können. Doch jeder einzelne Mensch, dem wir aus der Einsamkeit heraushelfen, in die ihn seelische, zwischenmenschliche oder wirtschaftliche Not gedrängt haben, ist ein großartiger Erfolg. Optimaler ist allerdings die Wirkung, wenn es uns gelingt, zur Einsamkeit führende Bedingungen öffentlich zu machen und die Mitmenschen dafür zu sensibilisieren. So sind zum Beispiel Langzeitarbeitslosigkeit und Fremdenhass solche Bedingungen. Sie führen nicht zwangsläufig, aber doch sehr oft in die Einsamkeit.
Caritas "versteht sich als Anwalt und Partner der Benachteiligten", so steht es in unserem Leitbild. Bei der Vielschichtigkeit der Not ist es sinnvoll, alljährlich einen Aspekt besonders in den Blick zu nehmen. Alle Themen der letzten Jahre lassen sich unter dem Leitgedanken zusammenfassen: "Not sehen und handeln. Caritas".
Frage: Einsamkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und lässt sich nicht allein von den Wohlfahrtsverbänden lösen. Was würden Sie sich konkret von Staat, Kommunen oder Einzelpersonen an Unterstützung wünschen?
Kutschke: Zu den Einsamen gehören beispielsweise Kinder, die nicht geliebt werden, Jugendliche, die vor dem Eintritt ins Berufsleben stehen und keine Anstellung bekommen, Langzeitarbeitslose, die sich wegen vieler Enttäuschungen nichts mehr zutrauen, Ausländer, die beschimpft und diskriminiert werden, ältere Menschen, die sich selbst nicht mehr helfen können. Ich wünschte mir, dass der Staat, die Kommunen und jeder Einzelne in seinem Bereich für Bedingungen sorgt, die ein Klima der Solidarität und des Angenommenseins entstehen lassen.
Frage: Ein Jahresthema kann bestenfalls ein Schlaglicht sein. Was ist aus den Armen des Jahres 2000 geworden und wie wird es mit den Einsamen 2002 weitergehen?
Kutschke: Wenn man ein Jahr lang den Blick für ein gravierendes Problem geschärft hat, dann hat das auch eine Langzeitwirkung. Vielen Armen wurde im vergangenen Jahr Hilfe zur Selbsthilfe vermittelt, ihnen wurde zu ihrem Recht verholfen. Auch das hat Langzeitwirkung. Wenn es uns gelingt, in diesem Jahr die Gesellschaft auf die Vereinsamung und die Not einer immer größer werdenden Gruppe von Menschen aufmerksam zu machen und ein Netz der Hilfsbereitschaft aufzubauen, dann war das Jahresthema nicht nur ein Schlaglicht, sondern ein großer Erfolg.
Fragen: Holger Jakobi
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 04.03.2001