Nach fnf Jahren Aktenstudium
Staatssicherheit
Leipzig (ste) - "IM ist nicht gleich IM. Jeder einzelne Fall mu differenziert untersucht werden. Pauschale Urteile erzeugen neues Unrecht." So lautet das Fazit des Leiters der "Arbeitsgruppe zur Aufarbeitung der Ttigkeit staatlicher und politischer Organisationen/MfS gegenber der katholischen Kirche", Prlat Dieter Grande, Dresden, nach fnf Jahren Aktenstudium und Gesprchen mit Betroffenen, vorgetragen auf einer Veranstaltung von /kumenischer Stadtakademie, Landesfilmdienst und St. Benno-Verlag in der Leipziger Reformierten Kirche.
Dieter Grande beklagt, da die Ttigkeit von SED und Stasi in den Jahren nach der Wende stark verzerrt wahrgenommen wurde, vor allem durch die Medien. Da sich die Brgerrechtler mit der Forderung, das Ministerium fr Staatssicherheit (MfS) im Einigungsvertrag als verbrecherische Vereinigung einzustufen, nicht durchgesetzt haben, habe eine Jagd auf die Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) des MfS eingesetzt, bei der die Ex-Fhrungsoffiziere als Experten auftraten. Grande: "Sicher, es gab da Schuld. Aber die Hauptamtlichen waren die Haupttter."
Weiterhin htten sich die Medien auf die Kirchen gestrzt, um Verstrickungen nachzuweisen. "Hier haben Journalisten offensichtlich der Verzerrung, nicht der Wahrheit gedient." Schlielich werde oft verkannt: Das MfS hatte keine eigene Kirchenpolitik, sondern war nur der Arm von Politbro und ZK der SED, wo die eigentlichen Entscheidungstrger saen. Hier gelte es noch viel aufzuarbeiten.
Prlat Grande und der wissenschaftliche Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Bernd Schfer stellten auf der Veranstaltung ihren Bericht "Kirche im Visier: SED, Staatssicherheit und Katholische Kirche" vor, der im St. Benno-Verlag erschienen ist. Schfer: "Wir gehen davon aus, da mehr als 90 Prozent aller IM-Vorgnge in der katholischen Kirche bekannt geworden sind. Neue Akten werden wahrscheinlich unser vorhandenes Wissen nur vertiefen." Durch die Ttigkeit der Arbeitsgruppe seien mehr IM-Vorgnge erfat worden, als es durch Regelberprfungen mglich sei. Regelberprfungen betreffen immer nur die augenblicklichen Mitarbeiter und zum Beispiel keine verstorbenen oder ausgeschiedenen. Die aufgedeckten 172 Akten mit Vorgngen gegen Kirchenmitarbeiter und Gruppen stellten jedoch nur einen kleinen Teil dar.
Als erfreulich werteten die beiden Autoren das Interesse auf rund ein Dutzend Vortragsveranstaltungen vor allem in Mecklenburg, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Nach Prlat Grande bleibt bei der Erforschung der Kirchenpolitik von SED und Stasi noch viel zu tun: Die Akten zeichneten kein vollstndiges Bild der Wirklichkeit. Das Gesprch mit Opfern und Ttern sowie zwischen beiden msse noch erfolgen ebenso wie das Gesprch zwischen beiden.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 24.05.1998