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Aus der Region

Selbst Verantwortung übernehmen

Diakonische Bildungsakademie

Moritzburg - Ohnmacht, Wut, Hilflosigkeit, Erschöpfung - das sind Symptome, die bei vielen Pflegeberufen zum Alltag gehören. Was tun, wenn mehr Hilfe nötig wäre, aber die eigene Kraft oder die finanziellen Vorgaben des Staates es nicht erlauben? Diese Fragen stellten sich die etwa 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Tagung zur Ethik in der Pflege, die von der Diakonischen Bildungsakademie Sachsen in Moritzburg angeboten wurde.
Adelheid Korte, die für die Akademie seit Juli 1997 Referentin im Bereich Fortbildung ist, erklärte den Zweck eines solchen Seminars. Bei den Betroffenen führe die Ohnmacht vielfach zu Depression und Abstumpfung. Eine Diskussion über die Probleme bleibe oft im Gefühlsbereich, das Gespräch mit anderen habe lediglich Mitleid zur Folge.
Dabei müsse man sich die Probleme viel bewußter machen, sie mehr reflektieren. Hierbei helfen wollte die Referentin, Dr. habil. Marianne Arndt. Die heute in Schottland lehrende Religionspädagogin und Pflegewissenschaftlerin hat sich durch zahlreiche Veröffentlichungen zur Thematik einen Namen gemacht, beispielsweise mit dem Band "Ethisch denken - Maßstäbe zum Handeln in der Pflege". Selbst auch Krankenschwester, betonte Arndt die Praxisrelevanz ihrer Ethiktheorien. "Glauben Sie nicht, daß Ethik unsere Probleme löst. Das Wissen um die Ethik macht noch nicht den besseren Menschen. Und: Leitlinien kriegen Sie hier von mir nicht, die müssen Sie sich selber machen." Das "Selbermachen" wurde überhaupt sehr betont auf dieser Tagung - sowohl Marianne Arndt als auch Adelheid Korte riefen die Mitarbeiter aus Altenheimen, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen dazu auf, Verantwortung zu übernehmen für ihr Handeln und die Freiheit des bundesrepublikanischen Systems auch zu nutzen, um sich selbst mehr einzubringen.
"Pflege darf nicht unpolitisch sein", so Adelheid Korte, "sonst bleiben die Probleme im Verborgenen". Doch gerade der Begriff Verantwortung, so einige Pflegerinnen und Pfleger, ist vielen noch fremd. Aus der Seminargruppe kamen immer wieder Klagen, wie Ärzte, Vorgesetzte oder auch die staatlichen Regelungen ein ethisch wünschbares Handeln verhinderten. Wie soll man mit Fehlern der anderen umgehen, wie mit den eigenen Unzulänglichkeiten? "Seien sie nicht Sklaven der politischen Situation, verändern Sie etwas. Gucken Sie sich ihre Erfolge an, machen Sie sich positive Erlebnisse bewußt", riet die Wissenschaftlerin Arndt. Ein schlechtes Gewissen gegenüber den Pflegebedürftigen mache die Arbeit nicht besser. Vielmehr müsse insgesamt ein neuer Ansatz für die Pflege gelten.
Anders als bei der alten Definition als medizinisch-technischer Funktion müsse Pflege heute dazu dienen, daß der Mensch mehr Mensch werde. "Ich als Mensch helfe, nicht als Expertin - so kann man auch die Beschränkungen anerkennen, die zum Menschen gehören." Pflege könne so vom Podest der Perfektion geholt und eine mehr partnerschaftliche Sicht statt der Pfleger-Patient-Beziehung eingeübt werden.
"Pflegen ist die Fähigkeit, zusammen mit einem anderen Menschen Krisenerfahrungen durchzustehen", so Arndt, "diese Situation hat für beide Seiten Entwicklungspotential". Keine ethischen Regeln, keine Lösungsversprechen - der Rat der Pflegewissenschaftlerin bestand vielmehr in der Bitte, Pflege einmal aus anderer Perspektive zu betrachten. Die Energie, die oft verwandt werde, um Staat und Pflegeversicherung für schuldig zu erklären, sollte doch lieber anders, mehr im Sinne der Pflegebedürftigen genutzt werden. Denn, so Arndt dann doch mit einer ethischen Grundregel, "die beste Pflege ist gerade mal so eben gut genug".

Christian Saadhoff

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 23 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 07.06.1998

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