Zeichen für lebendigen Glauben
Heiligenstädter Schulschwestern
Heiligenstadt (kna/bac/mok) - Unsere Bergschwestern"; sagen die Bewohner des Eichsfeldes respektvoll, wenn sie von den Heiligenstädter Schulschwestern"; und ihren Einrichtungen sprechen. Der deutsche Zweig der 1807 in Frankreich gegründten Ordensgemeinschaft der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel ist in der katholischen Region in Nordthüringen seit Generationen ein Inbegriff für gelebten Glauben und eine gute Adresse für solide schulische und berufliche Ausbildung. Vor 14 Tagen hatten die Heiligenstädter Schulschwestern reichlich Grund zum Feiern: Sie konnten nach einer sechsjährigen Planungs-, Wartens- und Bauphase ihr neues Klostergebäude einweihen.
Während einer festlichen Eucharistiefeier, die in der großen alten"; Kapelle der Schwestern stattfand, segnete Bischof Joachim Wanke am 25. Mai die neuen Räume wie zum Beispiel den Kapitelsaal und die Wohnbereiche der Schwestern. Daß die Einweihung des Neubaus wegen der Unterbrechung durch archäologische Funde und Grabungsarbeiten einige Monate später als zunächst vorgesehen erfolgen konnte, nahm der Bischof als Sinnbild: Christliches Leben sei aktives Warten, ein Sich-Ausstrecken nach dem, was Gott schenkt";, auch mit Hilfe des neuen Hauses. Wichtig sei, in Geduld Frucht zu bringen, wenngleich man der Frucht nicht befehlen könne, zu reifen.Am Abend zuvor hatte Architekt Andreas Weicken bei einem festlichen Akt in der Turnhalle des St.-Elisabeth-Gymnasiums der Provinzialoberin Schwester Benedicta vom Kreuz einen symbolischen Schlüssel übergeben und damit seinen Auftrag zu Ende gebracht.
Das neue Klostergebäude bildet das Herzstück der Häusergruppe auf der in der Stadt gelegenen Anhöhe, zu der das Elisabeth-Gymnasium mit 750 Schülern, der Bergkindergarten mit rund 130 Kindern und die Bauten der berufsbildenden Bergschulen mit 450 Studierenden gehören.
Das dreigeschossige Gebäude bildet im architektonischen Ensemble jetzt den modernsten Akzent. Der Bau umfaßt Kapitelsaal, Refektorium (Speisesaal), Klausurräume, Besprechungszimmer, Meditationsraum und die Bergklosterkirche, die auch von außen zugänglich ist. Im Gegensatz zur benachbarten mehr als 800 Jahre alten Martinskirche und zum gegenüberliegenden Mainzer Schloß von 1739 bricht sich an dem neuen Haus das Tageslicht nicht an kaltem Sandstein, sondern durchflutet das Gebäude. Rund 200 Fenster machen es möglich und signalisieren dem Betrachter, daß dieser Konvent sich nicht abschottet, sondern Menschen offensteht, die Besinnung und Einkehr suchen. Im Sinne der Schwestern sei großer Wert auf ein zum Umfeld offenes Kloster gelegt worden, so Architekt Weicken. Dafür stehe auch der Haupteingang und der Zugang zum archäologischen Museum im Untergeschoß.
Seit rund 130 Jahren prägen die Schulschwestern den religiösen Geist der Eichsfelder mit - nicht zuletzt über den Unterricht in den Bergschulen. Nach der Wende erlebten die Einrichtungen, die in den 50er Jahren vom SED-Regime enteignet worden waren, eine Wiedergeburt. Tausende Mädchen und Frauen gingen hier zur Haushaltsschule";. Während der DDR-Zeit wurden die Erzieherinnen für alle katholischen Kindergärten im Eichsfeld ausgebildet. Sie erhielten auch religiöse Orientierungshilfe im Bergkloster, das Zeuge für lebendigen und durchtragenden Glauben ist";, wie der Bischöfliche Kommissarius für das Eichsfeld, Propst Heinz-Josef Durstewitz vor den Schwestern und rund 500 Gästen bei der festlichen Übergabe betonte.
Für die Generaloberin der Heiligenstädter Schulschwestern, Schwester Alosia Höing aus Bestwig, soll das neue Kloster ganz Fenster sein, durch das Gottes Liebe leuchtet"; - wie einst die Kerzen, die zur Zeit der Demonstrationen von 1989 in den Fenstern des alten Mutterhauses standen. Keinesfalls dürfe das Kloster Burg sein, in der man sich verschanzt";, auch nicht Residenz, wo man regiert";, pflichtete ihr Generalvikar Georg Jelich bei der Schlüsselübergabe bei. Das Haus solle eine Heimat für alle Schwestern der eichsfeldischen Ordensprovinz werden, so die Provinzialoberin Schwester Benedikta vom Kreuz. Derzeit hat die Kongregation 72 Schwestern, von denen 40 im Bergkloster ihren Lebensabend verbringen.
Jeder Zentimeter, auf dem das neue Klostergebäude steht, atmet jahrtausendealte Geschichte. Das Haus erstreckt sich über historische Siedlungsgeschichte - vermutlich Fundamentreste einer karolingischen Kaiserpfalz sowie aus dem 8. / 9. und 11. / 12. Jahhundert. Die archäologischen Funde waren bei den Bauarbeiten zu Tage getreten und hatten für eine neunmonatige Bauverzögerung gesorgt. Und sie hatten - wie Architekt Andreas Weicken bemerkte - bei manchem die Nerven ebenso blank liegen lassen wie Jahre zuvor die Empfehlung, statt einer Sanierung der alten Stiftsgebäude aus dem 18. Jahrhundert einen Neubau zu erstellen. Bei den Schwestern habe dies geradezu schockartige Reaktionen ausgelöst";. Dem Totalabbruch zuzustimmen fiel ihnen um so schwerer, weil es sich um die Gründungszelle der Heiligenstädter Schulschwestern und das erste Mutterhaus der Kongregation in Deutschland handelte. Doch Hausschwamm und Hausbock sowie statische Probleme ließen keine andere Entscheidung zu, als im Juli 1995 das alte Mutterhaus abzureißen. Nun wollen die Schwestern aus dem modernen Klostergeäude heraus weiter pastoral, karitativ und pädagogisch wirken. Mit Gottvertrauen, Barmherzigkeit, Treue und Gebet, wie sie beim letzen Schwesterntag im alten Mutterhaus auf Ziegelsteine geschrieben hatten, die sie in die Stufen zum Eingang des neuen Klosters einmauern ließen.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 07.06.1998