Über kirchlichen Aufbruch in Rußland geredet
Renovabis-Abschlußfeier
Magdeburg / Halle (dw) - "Unsere Welt braucht Gottes Geist." - Das Motto der diesjährigen Renovabis-Pfingstaktion ist zufällig auch das Leitwort des Orthodoxen Theologischen Institutes St. Tichon. Der Leiter dieses Moskauer Institutes, Professor Nikolai Jemeljanow, nahm in Magdeburg am Gottesdienst zum Abschluß der diesjährigen Renovabis-Pfingstaktion teil. Einige Tage zuvor war er in Halle und Magdeburg Gast bei Gesprächsrunden der Partnerschaftsaktion Ost über das Christentum im heutigen Rußland.
Er zeichnete ein düsteres Bild der Lage Rußlands, geprägt von den täglich krasser klaffenden Unterschieden zwischen Arm und Reich. Wirtschaftlich sei vielen Experten zufolge nach 1990 mehr kaputtgegangen als durch den Zweiten Weltkrieg. Seine Hoffnung für die Zukunft Rußlands setze er auf Gebete und Fürsprache der Christen, die während des Stalinismus ihr Leben lassen mußten. Allein 300 orthodoxe Bischöfe seien in den 70 Jahren des Kommunismus umgebracht worden. Das St.-Tichon-Institut hat sich zum Ziel gesetzt, Kurzbiographien der verfolgten Christen zu erstellen. Informationen über mehr als 12 000 Opfer haben Studenten und Dozenten bereits zusammengetragen.
Wenn die russischen Christen auch in Zukunft sichtbare Hoffnungszeichen setzen wollten, müßten sie ihre Strategie der "sozialen Mission" verändern, mahnte der orthodoxe Priester Valentin Uljachin an, der am St.-Tichon Institut Dozent für Neues Testament ist. Sie dürften nicht nur den Dienst an Armen, Kranken und Kindern im Blick haben, sondern die Würde jedes Menschen. Die Verantwortung der Laien müsse stärker betont werden. Jeder Christ müsse im Alltag dem Willen Gottes folgen entsprechend den Gaben des Heiligen Geistes. Dies müsse in ökumenischer Zusammenarbeit geschehen, wenn die Christen den rasch anwachsenden Sekten und anderen Religionen wie dem Islam wirksam etwas entgegensetzen wollten.
Peter Danisch, Priester des Bistums Magdeburg, der seit 1992 mit drei weiteren deutschen Geistlichen in Tscheljabinsk lebt, richtete den Blick auf die Situation der wenigen Katholiken im Ural; zumeist sind es Wolgadeutsche, die grausam verfolgt und zwangsverschleppt wurden. Viele hätten ihr Glaubensleben jahrzehntelang im geheimen und ohne einen Priester durchgehalten. Das Kommen der Priester und vier amerikanischer Schulschwestern habe ihnen neue Hoffnung gegeben. Dennoch wanderten einige nach Deutschland ab. Allerdings gebe es immer eine kleine Gruppe neuer Taufbewerber. Derzeit freuen sie sich auf die Fertigstellung einer neuen Kirche. Die katholische Kirche, die einst polnische Exilanten in Tscheljabinsk gebaut hatten, erlitt zu sowjetischer Zeit das gleiche Schicksal wie tausende orthodoxer Kirchen: Sie wurde dem Erdboden gleichgemacht.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 07.06.1998