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Bistum Magdeburg

Eine Brücke der Versöhnung

Hilfe für Weißrußland

Das Leben vieler Bewohner von Volkovysk ist von Armut und Perspektivlosigkeit sowie von Krankheiten infolge der Katstrophe von Tschernobyl gepräg. Seit vier Jahren unterstützen katholische Christen und weitere engagierte Bürger aus Bernburg die Menschen der weißrussischen Stadt:

Volkovysk - "Kommen sie wieder. Vergessen sie uns nicht!" Herzlich, dankbar und zugleich auch nachdrücklich äußert Schwester Dorota ihre Bitte, als sie sich von den beiden Frauen und zwei Männern des Bernburger Hilfstransports verabschiedet. Die Oberin der Armen Schulschwestern in Volkovysk ist dazu extra ins Pfarrhaus der katholischen St.-Wenzels-Gemeinde gekommen. Eigentlich sollten die Bernburger, die zum achten Mal einen Hilfstransport in die Stadt im Westen Weißrußlands gebracht haben, noch Gäste der Schwestern sein und das Novizenhaus kennenlernen. Doch der mit insgesamt fünf Tagen für den Transport knapp bemessene Zeitrahmen der Deutschen hat dazu keinen Raum gelassen. Sie müssen nach eintägigem Aufenthalt wieder aufbrechen, zumal noch ein Abstecher zur Diözesan-Caritas in der Bezirks- und Bischofsstadt Grodno geplant ist.

Im Beisein eines örtlichen Zollbeamten sind am Tag zuvor die in einem Klein-LKW und einem PKW-Kombi aus Deutschland mitgebrachten Sachen ausgeladen und in eine Garage auf dem Grundstück des Schul- und Schwesternhauses eingelagert worden: 100 an bedürftige Familien adressierte Pakete mit Lebensmitteln - "ein bißchen vergleichbar unseren früheren Westpaketen", wie die Initiatorin und Leiterin der Hilfstransporte, Roswitha Krziskewitz, sagt. Dazu 50 Säcke mit gut erhaltenen gebrauchten Kleidern für Kinder und Erwachsene, außerdem fünf Kartons mit Traubenzucker. Nach erfolgter Einlagerung hat der Zollbeamte die Garage verplombt. Die Entscheidung, ob und wann die Güter und Geschenkpakete von den Schulschwestern verteilt werden dürfen, wird in den nächsten Wochen in der weißrussischen Hauptstadt Minsk fallen. Weitere Pakete mit Taubenzucker-Vitamin-Bonbons und Lebensmitteln konnten - nachdem alles gut über die Grenze gebracht war - bereits am Vorabend Pfarrer Anton Filiptschik übergeben werden. Ausgehändigt wurden ihm außerdem 140 Tafeln Schokolade mit Glückwunschkarten für die Erstkommunionkinder der Gemeinde.

Die zirka 40 000 Einwohner zählende Kreisstadt Volkovysk macht auf den westlichen Besucher einen ziemlich trostlosen Eindruck: Holzhäuser, die überwiegend in schlechtem Zustand sind, und graue Plattenbauten aus den letzten Jahrzehnten prägen das Bild des in hügelig abwechslungsreicher Gegend gelegenen Ortes, der vor dem Hitler-Stalin-Pakt bis 1939 zu Polen gehörte. In der Ortsmitte gibt es eine Post, ein Feuerwehrgebäude, die Belorussische Bank, ein kleines verkommenes Kaufhaus. Auf dem trist wirkenden zentralen Platz steht ein überlebensgroßer Lenin. Einen Marktplatz gibt es nicht. Ein Markt, auf dem es fast alles für das tägliche Leben gibt, findet auf einem hofartigen Gelände statt. Ein Werk für Flugzeugteile mit zu sowjetischen Zeiten 1500 Beschäftigten hat heute noch 300 Mitarbeiter. Es gibt etwas Bauindustrie, einen Betrieb für Metall-Kleinteile, dazu ein Milch- und ein Fleischkombinat und eine große Haftanstalt. Weil die Leute wenig Geld haben, ordern die Geschäfte auch wenig Produkte. Aus Richtung Westen ist theoretisch alles heranzuschaffen. Ein Durchschnittslohn beträgt umgerechnet etwa 80 Mark. Ein Brot kostet etwa eine Mark, ein Stück Butter 69 Pfennige, ein Kilogramm einfache Wurst zirka fünf Mark. Offizielle Arbeitslosenzahlen gibt es nicht. Obwohl es wenig Arbeit gibt, bleiben die Leute nicht selten in ihren Betrieben angestellt, erhalten aber keinen oder wenig Lohn. Arbeitslosengeld wird nicht gezahlt.

Schwester Dorota und ihre acht Mitschwestern - sie gehören zur Gemeinschaft der Armen Schulschwestern von Unserer lieben Frau - kennen die Not der Familien. Sie haben durch die etwa 1500 Kinder, die Woche für Woche zu ihnen in das Schul- und Schwesternhaus zum Religionsunterricht kommen, Kontakte in viele Familien. Anhand von Fotos mit Kindern erläutert die aus Polen stammende Ordensfrau den Begleitern des Hilfstransports, wem sie zum Beispiel durch die Unterstützung aus Bernburg helfen konnte: einer alleinerziehenden Mutter mit drei Kindern, der ein Paket Mehl, eine Tüte Zucker, Öl, Haferflocken, ein paar Tafeln Schokolade sowie einige Kleidungsstücke eine echte Unterstützung zum Überleben bedeuten. Einer Familie, in der der Vater Alkoholiker ist und in der von den ohnehin geringen Einkünften wenig für Frau und Kinder bleiben. Familien, die durch Tschernobyl leukämiekranke oder anders geschädigte Kinder zur Welt gebracht haben, die dankbar sind, wenn sie für ihre Kinder ausländische unverstrahlte Nahrung bekommen. Die Schwestern bieten den Kindern auch Ferienaktionen an, fahren mit ihnen in andere Gemeinden oder verbringen mit ihnen in Volkovysk gemeinsame Zeiten. Auch dabei helfen Finanzen und Hilfsgüter aus Deutschland und anderswo.

Wie andere Kirchengemeinden auch, wollten die Bernburger Katholiken 1993/94 eine Partnerschaft zu einer Gemeinde im Osten aufbauen, erzählt Frau Krziskewitz, die die Hilfe seit ihren Anfängen organisiert. "Wir wollten dazu beitragen, auch auf dem Hintergrund des von Deutschen im Osten angerichtenten Unheils eine Brücke im Zeichen von Liebe und Versöhnung zu schlagen", sagt die Mutter von vier zum Teil schon verheirateten Kindern. Die in Bernburg wirkenden Armen Schulschwestern hatten von in Weißrußland arbeitenden polnischen Schwestern gehört. So kam es in Absprache mit der Partnerschaftsaktion Ost des Magdeburger Bistums zum Kontakt nach Volkovysk. Inzwischen sind aus der Kreisstadt zwischen Magdeburg und Halle viele Tonnen Hilfsgüter nach Volkovysk und zur Caritas nach Grodno transportiert worden. Insgesamt 20 verschiedene Personen haben schon an den Transporten teilgenommen. Was zunächst nur zwischen den katholischen Gemeinden begann, hat sich ausgeweitet, zumal früh entstandene Kontakte zum Volkowysker Krankenhaus bald die Hilfsmöglichkeiten der Bernburger Katholiken überstiegen: So fuhr jetzt auch ein Konvoi von drei LKW und einem Kleintransporter des Bernburger Roten Kreuzes nach Volkovysk, um in das Krankenhaus Betten, medizinische Geräte und zum wiederholten Mal eine Palette Kindernahrung für die strahlungsgeschädigten Neugeborenen zu bringen. Außerdem wurde das städtische Kinderheim, in dem derzeit 86 Mädchen und Jungen leben, wieder mit Gütern bedacht. Zwischen den Kindern und den Bernburgern sind inzwischen freundschaftlich-herzliche Beziehungen gewachsen.

Kontakte hat es bei früheren Transporten auch mit dem orthodoxen Priester gegeben. Nach Angaben des katholischen Pfarrers Filiptschik leben in Volkovysk zirka 13 000 katholische und an die 18 000 orthodoxe Christen. Das Verhältnis zwischen Katholiken und Orthodoxen sei mit "Leben und Leben lassen" zu umschreiben. Seit mehreren Jahren bauen die orthodoxen Christen von Volkovysk an einer großen Kirche, kommen aber nur sehr mühsam voran. Ursache dafür dürften vor allem finanzielle Gründe, aber auch mangelndes Engagement der Gläubigen sein.

Anders in der katholischen Gemeinde: Sonntags kommen zu den drei Hauptgottesdiensten in die mit vor allem polnischer Hilfe sanierte St.-Wenzels-Kirche jeweils zwischen 800 und 1000 Gläubige. Insgesamt haben Pfarrer Filiptschik und Vikar Kasimier Wojniusz Samstag und Sonntag einschließlich der Außenstationen acht Gottesdienste zu halten. 140 Kinder waren im Mai zur Erstkommunionm was wenig sei, wie der Pfarrer sagte, da es die Kinder zweier Jahrgänge waren. Nur 1996 seien es hingegen 180 Erstkommunionkinder gewesen. Nicht ohne Stolz berichteten er und Schwester Dorota auch, daß im Mai 1500 Mädchen und Jungen zum vierten Diözesan-Jugendtreffen in Volkovysk waren. In Volkovysk gibt es inzwischen neben den vier aus Polen stammenden Schulschwestern bereits vier einheimische Ordensfauen sowie je drei Novizinnen und Kandidatinnen.

Auf der Rückfahrt machen die Bernburger noch kurz bei der Diözesan-Caritas in Grodno Station. Referentin Swetlana Semasekko berichtet über Kurangebote der Caritas für durch Tschernobyl geschädigte Kinder. "Das nächste Mal werden wir für die Caritas eine größere Lebensmittelsendung mitbringen, um den kurbedürftigen Kindern unverstrahlte Nahrung bereitstellen zu können", sagt Roswitha Krziskewitz später auf der Heimfahrt. "Und wir werden natürlich auch die Volkovysker nicht vergessen." (ep)

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 24 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 14.06.1998

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