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Aus der Region

Christsein in der DDR

Diskussionsabend

Erfurt (tdh) - Nach Auffassung des emeritierten Erfurter Philosophen Konrad Feiereis hat sich die katholische Kirche zu DDR-Zeiten durch besondere Nähe zu den Menschen und ihren Problemen ausgezeichnet. In vielen Hirtenworten und Erklärungen hätten die Bischöfe die Anliegen der Menschen hinsichtlich von Fragen der Erziehung und Bildung, des Rechtes auf freie Glaubensausübung oder bezüglich des Wehrdienstes zur Sprache gebracht, sagte Professor Dr. Feiereis bei einer Veranstaltung zum Thema "Last oder Chance? Kirchliches Leben im totalitären Staat." Zu der Abendveranstaltung am 16. Juni im Gemeindesaal der Erfurter St.-Severi-Gemeinde hatte die Erfurter St. Benno Dombuchhandlung in Zusammenarbeit mit dem Philosophisch-Theologischen Studium und dem Seminar für Zeitgeschichte eingeladen. Anlaß war das Erscheinen des zweiten Dokumentenbandes "Kirchliches Leben im totalitären Staat. Quellentexte aus den Ordinariaten 1977 - 1989" Anfang des Jahres im Leipziger St. Benno-Verlag.

Für Kirchenhistoriker Professor Dr. Josef Pilvousek machen die Texte deutlich, "wie facettenreich kirchliches Leben" in der DDR war. Zugleich sei daran aber auch erkennbar, "wie schwierig es sein wird, einmal eine Gesamtgeschichte der katholischen Kirche in der DDR zu schreiben, die alle Aspekte berücksichtigt", so der Herausgeber des Dokumentenbandes und Leiter des Seminars für Zeitgeschichte am Philosophisch-Theologischen Studium Erfurt. Die Dokumente ließen zudem deutlich werden, "daß die katholische Kirche in der ehemaligen DDR ihrer originären Aufgabe gerecht zu werden suchte": "Insgesamt", so Pilvousek, "kann den Bischöfen, die die ,kirchenpolitische Gangart‘ festlegten, bescheinigt werden, den ,innerkirchlichen Freiraum‘ mit ,Umsicht und Energie im ganzen erfolgreich‘ geschützt zu haben. Ob damit nicht manchmal das eigenverantwortliche Handeln der Laien mehr als notwendig eingeengt wurde, ist eine Frage, die noch einer Beantwortung bedarf", sagte der Kirchenhistoriker vor den rund 60 Zuhörern.

Die Tatsache, daß in den unterschiedlichen kirchlichen Verlautbarungen zur Problematik von Flucht und Bleiben Ende der 80er Jahre "die Aufgabe der Kirche in der Gesellschaft und die Verantwortung des Einzelnen in der Gesellschaft den Grundtenor bildeten", belegt für den Leiter des zeitgeschichtlichen Seminars "den Grad der Beheimatung dieser Kirche im Raum der DDR". "Die katholische Kirche auf dem Gebiet der neuen Bundesländer war nach verschiedenen Entwicklungen - ganz sicher in den 80er Jahren faßbar - zur ,katholischen Kirche in der DDR‘ geworden."

Im Vergleich mit den Texten des im Herbst 1994 erschienenen ersten Dokumentenbandes "Seelsorge in SBZ / DDR 1945 bis 1976" werde an den Quellen der 80er Jahre "eine zunehmende Öffnung" der Kirche "zur Gesellschaft erkennbar", so der Kirchenhistoriker weiter. Pilvousek sieht mehrere Elemente, die zu diesem Prozeß geführt haben: den Generationswechsel unter den Bischöfen der DDR seit 1980, Dialogveranstaltungen zwischen Christen und Marxisten in dieser Zeit, die von Gorbatschow ausgegangene Perestrojka. Spätestens mit dem gemeinsamen Hirtenbrief der Bischöfe "Katholische Kirche im sozialistischen Staat" von 1986 und dem Katholikentreffen 1987 seien die "Bereitschaft und der Wille" erkennbar, "tatkräftig in diesem Land mitzuwirken", ohne sich mit der SED-Herrschaft zu identifizieren.


Der Erfurter Bischof Joachim Wanke, der ebenfalls an der Veranstaltung teilnahm, bestätigte diese Sicht. In den 80er Jahren habe sich bei ihm und seinen Bischofskollegen zunehmend der Gedanke durchgesetzt: "Wir müssen uns auf Dauer mit der DDR-Wirklichkeit abfinden", während die Vorgängerbischöfe eher mit der "Abwehr der ideologischen Vorwürfe" befaßt gewesen und von einer Überwinterungsstrategie ausgegangen seien. Wanke: Es ging darum, "sich nicht vom Sozialismus her definieren zu lassen" im Sinne einer Kirche der DDR, wohl "aber die konkreten Lebensbedinungen in diesem Staat" zum Ausgangspunkt kirchlichen Mühens zu nehmen. Diese "Standortbestimmung" sei eines der wichtigsten Probleme jener Zeit etwa auch im Zusammenhang mit dem Katholikentreffen 1987 in Dresden gewesen.

Wanke bedankte sich bei Herausgeber Pilvousek und seinen Mitarbeiterinnen für den Dokumentenband. Das Werk ermögliche, daß die entsprechenden Texte "zitiert werden können und nicht in den Archiven in Vergessenheit geraten".

Professor Dr. Feiereis machte am Beispiel der Ökumenischen Versammlung 1987 bis 89 deutlich, wie wichtig das Entstehen "geistiger Prozesse" für Veränderungen in der Gesellschaft ist. In den zwölf Papieren des Konziliaren Prozesses habe sich jeder mit seinen Anliegen wiederfinden können. Ohne die Ergebnisse von Dresden und Magdeburg hätte die friedliche Wende von 1989 so nicht stattfinden können, sagte Feiereis.

Josef Pilvousek, Kirchliches Leben im totalitären Staat. Quellentexte aus den Ordinariaten 1977 - 1989. Dokumentenband Teil II, Leipzig, St. Benno-Verlag, 1998, 14,5 x 12,5 cm, 610 S., kart., ISBN 3-7462-1234-0,
49 Mark.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 26 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 28.06.1998

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