Görlitz
Gemeinsam handeln, um Vorurteile abzubauen
Görlitz - Deutsche und polnische Jugendliche einander näher bringen: Das ist das Ziel von Gregor Antkowiak. Der Lehrer für katholische Religion an den vier Görlitzer Gymnasien hat sich deshalb zum Beispiel über die Evangelische Akademie an dem Projekt "Die Juden und wir" beteiligt. Dabei haben Schüler aus Deutschland und Polen nach Spuren jüdischen Lebens in ihren Heimatorten gesucht und ihre Ergebnisse während eines einwöchigen Seminars in Kreisau zu einer Ausstellung zusammengetragen. Diese ist noch bis 16. März in Görlitz zu sehen.
"Verständigung mit Ausländern ist nur dann möglich, wenn man gemeinsam an einer Sache arbeitet." Nur so könne eine Gruppe zusammenwachsen und Vorurteile überwinden. Davon ist Antkowiak überzeugt. Der 38-Jährige weiß, worüber er spricht: Zu DDR-Zeiten war er in der Aktion Sühnezeichen aktiv. 1981 etwa hat er zwei Wochen lang gemeinsam mit polnischen, tschechischen und ungarischen Jugendlichen in Berlin an einem Krankenhaus mitgebaut, später selbst Lager dieser Friedensinitiative geleitet und eine Wallfahrt nach Tschenstochau organisiert.
Während seines Studiums in Paderborn Anfang der 90er Jahren versuchte er Kontakte zwischen Deutschen, Niederländern und Belgiern aufzubauen. Vor rund zweieinhalb Jahren verschlug es ihn dann in die östlichste Stadt Deutschlands, wo er eine Stelle als Geschichts- und Religionslehrer bekam. Seither richtet sich sein Blick nach Osteuropa. Zum Beispiel könnte er sich eine Art Schülerparlament, wie es in der Europäischen Region Maas-Rhein bereits stattgefunden hat, auch im Görlitzer Raum vorstellen.
Antkowiak hält es einfach für "sehr wichtig, dass man heute nicht mehr national, sondern stärker europäisch denkt". Wenn er sich mit der Vergangenheit beschäftige, werde er immer wieder daran erinnert, dass Deutsche, Tschechen und Polen im Mittelalter ein viel größeres Zusammengehörigkeitsgefühl verspürt hätten als heutzutage, sagt der Geschichtslehrer.
Hinzu kommt, dass Antkowiaks Mutter aus Schlesien stammt. Nach dem Krieg wurde sie aus ihrem Heimatort Waldenburg vertrieben. Sie habe sich aber mit der Situation abgefunden, glaubt der Sohn. Die Herkunft seiner Mutter sei deshalb auch nicht unbedingt der Grund für seine deutsch-polnische Arbeit. Er engagiert sich vielmehr aus dem europäischen Gedanken heraus, will mitbauen am "gemeinsamen Haus Europa".
Außerdem möchte er die Erfahrungen, die er selbst mit ausländischen Jugendlichen gemacht hat, jungen Menschen heute weitergeben, ihnen einen Rahmen bieten, in dem sie miteinander ins Gespräch kommen und ähnliche Erfahrungen sammeln können. Der Lehrer arbeitet deshalb an Projekten der Evangelischen Akademie Görlitz mit und ist förderndes Mitglied in der Gemeinschaft für deutsch-polnische Verständigung (gdpv), der Jugendinitiative im Heimatwerk Schlesischer Katholiken. Das Schwierigste an solchen Projekten sei die Finanzierung, sagt Antkowiak. Polnischen Schulen etwa stünde viel weniger Geld zur Verfügung als deutschen. Allerdings sei bei polnischen Jugendlichen das Interesse am Nachbarland wesentlich größer - auch deshalb, weil sie Deutschland als Sprungbrett in den Westen sähen.
Bei vielen Ostdeutschen hat der gebürtige Merseburger hingegen ein gewisses Desinteresse am östlichen Nachbarn festgestellt. Polen gelte bei den jungen Leuten einfach nicht als attraktiv. Zudem übertrügen sich oftmals die Vorurteile der Eltern auf die Kinder. Zum Beispiel hätten ihn seine Schüler im Geschichtsunterricht nur ungläubig angesehen, als er erzählt habe, dass im Mittelalter Deutsche unter polnischen Fürsten lebten und umgekehrt.
Dass deutsche und polnische Kinder gemeinsam von einem deutschen Lehrer unterrichtet werden, dass funktioniert aber auch heute, und zwar in der einen oder anderen Religionsstunde bei Gregor Antkowiak. Er hofft, dass sich das Verhältnis zu Polen ähnlich entwickeln wird wie die Beziehungen zu Frankreich. Die deutsch-polnische Grenze solle überflüssig werden, so sein Wunsch. Dieses Ziel lasse sich aber nur "kleinschrittig" erreichen, ist Antkowiak überzeugt, unter anderem deshalb, weil Deutsche und Polen von ihrer Mentalität her sehr verschieden seien. "Die Deutschen können planen, die Polen können feiern", bringt er einen solchen Unterschied auf den Punkt.
Dennoch ist Antkowiak optimistisch: Da beide Völker sich brauchten, würden sie auch eine Möglichkeit finden, aufeinanderzuzugehen, glaubt er. Dort, wo sie wirtschaftlich aufeinander angewiesen seien, funktioniere das bereits. Zum Beispiel gäben manche Görlitzer Händler in ihren Läden bestimmte Wörter in beiden Sprachen an.
Auch bei den Teilnehmern an der gemeinsamen Projektwoche in Kreisau hat er eine Veränderung festgestellt: Als die deutschen Jugendlichen in Zgorzelec aus dem Bus stiegen und sich von den polnischen Schülern verabschiedeten, wollten die Umarmungen kein Ende nehmen.
Die Wanderausstellung "Die Juden und wir" ist bis 16. März im Treppenaufgang des Görlitzer Rathauses, Untermarkt 6-8, zu sehen. Öffnungszeit: Mo bis Do 7 bis 19 Uhr, Fr 7 bis 16 Uhr.
Karin Hammermaier
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 04.03.2001