Aus der Region
"Junge Nichtchristen brauchen ein Fest" - Ein Interview
Lebenswende
Die am 2. Mai im Erfurter Dom angebotene Lebenswendefeier für nichtchristliche Jugendliche hat nicht nur in der Presse für Diskussion gesorgt. Der Tag des Herrn sprach mit dem emeritierten Erfurter Pastoraltheologen und Pfarrer Franz-Georg Friemel.
Herr Professor Friemel, der Erfurter Dompfarrer Dr. Reinhard Hauke hat mit zwölf Jugendlichen im Erfurter Dom eine Lebenswendefeier - wie er es genannt hat - durchgeführt. Was halten Sie davon?
Die Idee ist gut, jungen Leuten eine neutrale Feier des Übergangs von der Kindheit zum Jugendalter anzubieten. Viele Völker kennen Initiationsriten auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Jugendliche, die nicht zur Konfirmation oder zur Firmung gehen, brauchen ein solches Ereignis. Die Jugendweihe war und ist so etwas. Die Verantwortlichen in der DDR hatten die Jugendweihe entwicklungspsychologisch ganz klug an den Zeitpunkt plaziert, an dem evangelische Jugendliche durch die Konfirmation in den Kreis der erwachsenen Christen aufgenommen werden. Und dagegen richtete sich die Jugendweihe ja in erster Linie in ihrer antichristlichen ideologischen Ausrichtung, auch wenn natürlich auch die jungen Katholiken getroffen werden sollten. Doch Kommunion und Firmung waren zeitlich nicht so genau zu orten wie die Konfirmation.
Nach der Wende war die Zahl der Jugendweihen zurückgegangen. 1991 sollen es 77 000 Teilnehmer gewesen sein. Inzwischen ist ihre Zahl wieder auf zirka 100 000 pro Jahr gestiegen. Woran liegt das?
Wir müssen uns in die Situation der Leute hier hineinversetzen. Die meisten gehören keiner Kirche an. Folglich haben sie auch kein religiös motiviertes Fest für den Übergang ins Jugendalter. Hinzu kommt: Wenn in einer Familie Kinder die Jugendweihe ihrer Geschwister mitfeiern und erleben, was diese geschenkt bekommen, sagen sie natürlich: "Das wollen wir auch." Das ist ganz verständlich. Eine Frau hat mir erzählt: "Wir haben oft anderen im Dorf etwas zur Jugendweihe geschenkt. Jetzt möchten wir, daß auch unser Kind beschenkt wird und schicken es deshalb zur Jugendweihe." Das ist wirtschaftlich betrachtet zu verstehen. Die Jugendweihe ist eigentlich nur für überzeugte Christen ein Problem.
Aber in dem Moment, wo die Jugendweihe weltanschaulich festgelegt ist - kann sie dann nicht auch ein Problem für Nichtchristen sein? Denn die meisten Menschen hier sind doch auch keine überzeugten Atheisten?
In den Familien wird nicht wahrgenommen, daß hinter den Jugendweiheanbietern mindestens teilweise antichristliche Kreise stehen. Richtig auszumachen ist das auch nur beim Humanistischen Verband mit seinen Jugendfeiern, hinter dem eine freidenkerisch-antireligiöse Gruppe steht. Die Jugendweihen werden von den jeweiligen Mitgliedsvereinen der Interessenvereinigung Jugendweihe e.V. veranstaltet. Alle Anbieter wollen die frühere, ihrer Meinung nach schöne Feier in unsere Zeit retten. Hinzu kommt: Auch manche katholische Eltern sagen: Jetzt gibt es doch die Gelöbnisformel nicht mehr. Nun können doch auch unsere Kinder an der Jugendweihe teilnehmen. Und sie haben in gewisser Weise recht. Es ist keine Sünde gegen den Glauben. Es ist jedoch eine Geschmacklosigkeit gegenüber all denen, die in der DDR dafür ihre Karriere aufs Spiel gesetzt und geopfert haben, um der Kirche treu zu bleiben.
Sie könnten sich vorstellen, daß auch katholische Christen an einer Jugendweihe teilnehmen?
Für die Kinder, die am Leben der Gemeinde aktiv teilnehmen, sollte die Jugendweihe kein Thema sein. Katholische Jugendliche haben dieses aus Freidenkerkreisen stammende und von den Kommunisten als Instrument gegen die Kirche verwendete Ritual nicht nötig. Die Frage steht bei solchen Jugendlichen, die mit der Kirche nur halb verbunden sind. Für diese Mädchen und Jungen kann es ein Problem sein. Es ist schwer, den jungen Leuten und ihren Eltern die Hintergründe klar zu machen. Es wäre ihnen leichter verständlich zu machen, wenn es ein Angebot in der Art der von Pfarrer Hauke angebotenen Lebenswendefeier für alle jungen Leute dieses Alters gäbe.
Ist hier Kirche gefordert? Ist es Aufgabe der Kirche, Nichtchristen eine solche Feier anzubieten?
Ich denke ja. Auch wenn man zugleich fragen kann, warum die katholische Kirche, die doch die Erstkommunion und die Firmung kennt, so eine Feier anbieten soll. Es gibt Übergangsriten: Polterabend als Abschied vom Single-Dasein, die Silvesterfeier, auch der 30. Juni 1990 war so etwas mit seinen Abschiedsfeiern von der DDR-Mark. Man erinnert sich an das Gewesene, hofft auf eine gute Zukunft und meint: Hier muß man höherer Mächte einschalten. Das hat eine religiöse Dimension. Deswegen ist hier die Kirche, sind Christen gefordert. Wir kennen auch sonst eine Menge Segnungen, die oft Übergangsriten sind: die Einweihung einer Brücke, eines neuen Hauses. Insofern ist es Sache der Kirche, Menschen zu helfen, solche Übergänge zu gestalten. Man darf allerdings nach dem Angebot von Dompfarrer Hauke nicht erwarten, daß jetzt viele Jugendliche Interesse an so einem Angebot zeigen werden. Hauke arbeitet in gewisser Weise in einer Sondersituation: In Erfurt gibt es die katholische Schule mit teilweise nichtchristlichen Schülern, kirchliche Einrichtungen mit nichtchristlichen Mitarbeitern ...
Meines Wissens ist der Dompfarrer der erste, der überhaupt ein solches Angebot für Nichtchristen in die Praxis umgesetzt hat. Könnte es nicht ein Anstoß für manchen sein, in seiner Stadt ähnliches anzubieten?
Wenn in einem Dorf oder Stadtteil eine katholische Gemeinde, evangelische Christen, andere Kulturträger, eine Schule so ein Angebot zum Beispiel für Schulklassen machen würden, dagegen wäre nichts zu sagen. Es müßte ein Angebot sein, das gereinigt ist von jeglicher ideologischer Ausrichtung und von dem kommunistischen Druck, daran teilnehmen zu müssen.
Halten Sie die christlich geprägte Gestaltung der Lebenswendefeier, wie sie Dompfarrer Hauke praktiziert hat, für angemessen?
Er hat mir erzählt, die Jugendlichen wollten, daß die Feier im Dom stattfindet. Zudem sagt er: Wenn er so eine Feier anbietet, dann tut er es als Christ und Pfarrer und läßt dabei auch seine religiösen Überzeugungen anklingen. Das verstehe ich. Wichtig wäre, einen anderen Namen für dieses Angebot zu finden. Der Begriff "Lebenswende" steht üblicherweise für die mittleren Jahre eines Menschenlebens. Und die Bezeichnung "Jugendweihe" ist aus der Vergangenheit furchtbar belastet. Machen Sie doch im Tag des Herrn einen Wettbewerb, wer für das, was Dompfarrer Hauke mit den Jugendlichen praktiziert hat, eine bessere Bezeichnung findet. Wir bräuchten einen guten Namen dafür.
Was könnten Gemeinden tun, um junge Menschen für so eine Feier zu interessieren?
Wenn es um unsere Gemeinden herum Gruppen von Sympathisanten für den christlichen Glauben gibt, dann können diese oder deren Kinder Interesse daran finden. Sie könnten sagen, diesen neuheidnischen Ritus der Jugendweihe machen wir nicht. Habt ihr Christen nicht etwas besseres für uns? Ich sehe allerdings nicht die vielen Sympathisanten. Wer sich für eine solche Feier meldet, der hat schon auf andere Weise Kontakt mit der Kirche gehabt, vor allem durch persönliche Alltagsbeziehungen mit Christen, die von ihrem Glauben erzählen. Insofern müßte jeder Christ seinen Nichtchristen oder seinen Atheisten haben, mit dem er im Gespräch ist. Und es müßte in den Gemeinden Kreise geben, in denen interessierte Nichtchristen auf ihre Fragen fundierte Antworten bekommen.
Interview: Eckhard Pohl
Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 26 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 28.06.1998
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 28.06.1998