Blauer Wellensittich und Euro
MDR 1 - Gedanken zur Nacht
Erfurt - Seine "Gedanken zur Nacht" werden thüringenweit ausgestrahlt. Wenn Hans Donat kurz vor 23.00 Uhr in den Wohnstuben, Bade- und Schlafzimmern zwischen Nordhausen und Sonneberg zu hören ist, haben trotz des späten Abends immer noch 30 000 Menschen MDR 1 Radio Thüringen eingeschaltet.
Hans Donat ist einer von rund 30 christlichen Männern und Frauen, die im Auftrag ihrer Kirche jeweils für eine Woche von Montag bis Freitag beim MDR die "Gedanken zur Nacht" sprechen. Eine Aufgabe, die der engagierte katholische Christ und frühere Leiter der Arbeitsstelle für pastorale Medien in Erfurt gern übernommen hat.
70 bis 80 Prozent der Thüringer und auch der nächtlichen Radio-Hörer sind keine Christen - diese Situation hat Donat stets vor Augen. "Trotzdem ist es meine Absicht, den Hörerinnen und Hörern etwas von der christlichen Botschaft zu vermitteln, und zwar auf eine Weise, die ihnen etwas bringt und durch die ich sie nicht belaste", sagt der in der Pastoral erfahrene Donat. "Ich rede in meinen Beiträgen zwar nur selten ausdrücklich von der Frohen Botschaft. Mir geht es aber stets darum, Beiträge im Sinne des Evangeliums anzubieten."
Als die etwa zweieinhalb Minuten dauernde Sendung konzipiert wurde, gab es nur eine inhaltliche Vorgabe von seiten des Senders: Die Gedanken zur Nacht sollten aktuell eine Nachricht des jeweiligen Tages aufgreifen. Eine Bedingung, die nicht zuletzt auch die Vorbereitung der Sendung ganz entscheidend bestimmt.
Hans Donat beginnt damit morgens vor dem Radio. "Ich sitze zu Hause und höre die 8.00- Uhr-Nachrichten von MDR 1 Radio Thüringen. Und denke: Noch nicht das richtige dabei. Dann die 8.30 Uhr Kurz-Meldungen. Gegen 8.45 Uhr folgt der Polizeibericht aus den Direktionen von Erfurt, Gera, Nordhausen und Suhl. Das ist etwas, was die Leute interessiert", weiß Hans Donat.
Bei der Auswahl der Tagesnachricht für die "Gedanken" muß Hans Donat verschiedene Aspekte im Blick haben: Die meisten der Zuhörer leben auf dem Land. Sie sind zwischen 50 und 75 Jahren alt und interessieren sich vor allem für lokale Ereignisse. Vom Musikprogramm her bietet der Sender überwiegend Schlager der 50er bis 70er Jahre. "Ich kann also nicht unbedingt mit Erlebnissen in der Erfurter Straßenbahn kommen, sondern muß auf etwas aus dem Lebensumfeld der Zuhörer oder auf etwas, zu dem viele Menschen einen Zugang haben, zurückgreifen", sagt Donat, "etwas, wie es sich zum Beispiel bei einem der Polizeiberichte im MDR anbot: ,Und nun eine Meldung in eigener Sache: Unserer Polizeidienststelle Jena ist ein blauer Wellensittich zugeflogen. Er kann von seinem Besitzer abgeholt werden."
Donat hatte an diesem Tag seine Meldung gefunden. "Ich habe in den Nachtgedanken meine Freude darüber ausgedrückt, daß dieser kleine Vogel der Polizei Jena und dem MDR eine Meldung wert war. Und ich habe ein wenig darüber gesprochen, daß wir Menschen in der Gefahr sind, das Unspektakuläre, aber zugleich vielleicht Erfreuliche eines Tages leicht zu übersehen. Dabei habe ich auch ein bißchen ausgemalt, wie die Polizeibeamten wohl mit dem Wellensittich umgehen würden, den sie ja wohl kaum nach seinem Namen, Geburtsdatum und: ,Schon vorbestraft? fragen könnten ... Am Ende habe ich den Zuhörern gewünscht, sie mögen von dem blauen Wellensittich träumen."
Genau dies ist für Donat, der - zwar schon Pensionär - als Lebensberater arbeitet, ein wichtiges Anliegen seiner Beiträge: den Menschen einen guten Gedanken in die Nacht hinein zu geben. Und Ängste bewältigen zu helfen, wie zum Beispiel die Angst vor dem Euro. Ein Thema, das Donat nach Meldungen über entsprechende Äußerungen von Thüringens Finanzminister aufgriff.
Manchmal verfolgt der 69jährige die am Morgen für die Nachtgedanken ausgewählte Meldung während der Nachrichtensendungen des Tages weiter - denn manche Meldungen verändern sich: etwa, wenn am Morgen über Friedensverhandlungen zwischen Bürgerkriegsgegnern berichtet wurde, die dann am Nachmittag bereits als gescheitert beurteilt werden. "Mir ist es wichtig, auch in schlimmen Nachrichten das Gute zu suchen", sagt Donat. So gab es die Unfallmeldung, einem Arbeiter sei in einem Steinbruch in der Nähe von Gera ein Arm abgerissen worden. Diese Meldung wurde ergänzt: Der Mann sei per Hubschrauber nach Jena gebracht worden, wo ihm in einer komplizierten Operation der Arm wieder angenäht werden konnte ... "Ich weiß, daß ich mit diesen leisen Tönen nicht die Welt verändern kann", sagt Donat. "Aber ein wenig tun gegen Egoismus und Ellenbogenmentalität kann ich vielleicht schon. Und ein bißchen Licht und Hoffnung bringen ..."
Ist über den Tag hinweg dann der Beitrag für die Nacht entstanden, was zwei, aber auch vier Stunden dauern kann, so gilt es, am Abend zum Sender zu fahren und den Text aufs Band zu sprechen. Denn so ganz live sitzen Donat oder seine Kollegen dann doch nicht vor dem Mikrofon, wenn kurz vor dem Zusammenschalten der ARD-Sender zum gemeinsamen Nachtprogramm als letzte Sendung die "Gedanken zur Nacht" ausgestrahlt werden.
Eckhard Pohl
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 12.07.1998