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Aus der Region

Ein Jahr in der höchsten Hauptstadt der Welt

Bolivien

Auf junge Leute, die als "Missionare auf Zeit" ein Jahr im Ausland verbringen, war die Dresdner Sozialpädagogik-Studentin Cornelia Hajek in einem Informationsblatt aufmerksam geworden. Seither ließ sie der Gedanke nicht mehr los, selbst eine zeitlang ihre Zelte in Deutschland abzubrechen. Sie schrieb Briefe an verschiedene Missionsorden: Können Sie eine Missionarin auf Zeit in Bolivien gebrauchen? Das Andenland war für sie kein unbeschriebenes Blatt: Vier Wochen lang hatte sie bereits an einem Kolping-Workcamp in einem bolivianischen Kinderdorf teilgenommen. Dieses Kinderdorf wurde schließlich auch Thema ihrer Diplomarbeit. Für die Recherchen hatte sie einen zweiten Kurzaufenthalt in Bolivien angeschlossen.

Schließlich stieß Cornelia Hajek auf die Einladung zu Informationstagen über Missionare auf Zeit. Steyler Missionare bieten solche Infotage in regelmäßigen Abständen im Jugendhaus des Bistums Dresden-Meißen an. Die Studentin hatte dort die Gelegenheit, mit Vertretern des Ordens zu sprechen und mit Jugendlichen, die ihren Auslandseinsatz bereits hinter sich hatten. Sie erfuhr, daß neben der Bereitschaft, unentgeltlich für Mission und Entwicklung zu arbeiten und einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder dem Abitur auch Kenntnisse der Landessprache von Vorteil sind. Der Steyler Orden vermittelt Missionare auf Zeit nicht nur in lateinamerikanische Länder, sondern unter anderem auch nach Afrika und Indien.

Nach Abschluß ihres Studiums und eines beruflichen Anerkennungsjahres war es für Cornelia Hajek soweit. In einem zweiwöchigen Blockseminar der Steyler Missionare bereitete sie sich gemeinsam mit anderen Jugendlichen aus ganz Deutschland auf ihren Bolivienaufenthalt vor. Zu der Gruppe gehörten auch junge Männer, die ihren Zivildienst im Ausland ableisten wollten. Cornelia Hajek arbeitete ein Jahr lang in einer kirchlichen Stiftung in der bolivianischen Millionenstadt La Paz mit, die sich um Straßenkinder und Kinder aus zerrütteten Familien kümmert. Die Stiftung war nicht von Steyler Missionaren, sondern von einem katholischen bolivianischen Priester ins Leben gerufen worden. Ein Jahr lang liegt der Aufenthalt für die Dresdner Sozialpädagogin nun schon zurück. Das Kapitel Bolivien ist für sie jedoch noch lange nicht abgeschlossen. Sie steht in regem Briefwechsel mit den Mitarbeitern der Stiftung "Regenbogen" und wirbt in Deutschland um Unterstützung. Für den Tag des Herrn schrieb sie ihre Erinnerungen auf:

"Ich wohnte in der "Gemeinschaft St. Johannes vom Kreuz" in einem der beiden Wohnhäuser der Stiftung ,Regenbogen‘. Zur Gemeinschaft gehörten neben vier mexikanischen Missionskarmelitinnen auch freiwillige Helfer aus verschiedenen Ländern. Das ergab eine bunte Mischung, und so war es nie langweilig in unserem Haus.

Der Tag begann mit der gemeinsamen Laudes und dem anschließenden Frühstück, ehe jeder seiner Arbeit nachging. In den ersten Monaten war ich im Mädchenheim der Stiftung tätig, in dem etwa 70 Mädchen aus schwierigen sozialen Verhältnissen leben. Die jüngsten sind sechs Jahre alt, die ältesten schließen gerade ihre Berufsausbildung ab. Ich erstellte dort mit einigen Sozialarbeiterinnen eine Dokumentation über die Mädchen. Es ging dabei nicht nur um die Präsentation unserer Arbeit für Förderer. Die gesammelten Daten sollten als Grundlage dienen, den Kindern noch gezielter helfen zu können. Wir befragten die Mädchen unter anderem über die Situation in ihren Familien, ihre bisherige Schulbildung, ihre Hobbies und Berufswünsche.

Am Wochenende und in der Freizeit hatten wir auch die Möglichkeit, mit den Kindern zu spielen, zu malen und zu basteln. Die Ferien zum Jahreswechsel sollten sie zu Hause verbringen. Etwa die Hälfte der Mädchen hatte noch eine Familie. Die anderen gingen zu Verwandten oder zu Familien, die sich bereit erklärt hatten, eine von ihnen aufzunehmen. Einige mußten die Ferien bei ihren Müttern im Gefängnis verleben. Mit ihnen machten wir Ausflüge, damit sie aus ihrer trostlosen Umgebung herauskamen. In den bolivianischen Gefängnissen sitzen viele, die schon jahrelang auf ein Gerichtsverfahren warten. Nur wer sich einen Anwalt leisten kann, kann auf ein baldiges Verfahren hoffen.

In den letzten Monaten meines Aufenthaltes arbeitete ich mit zwei Sozialarbeiterinnen auf den Straßen von La Paz. Wir betreuten verschiedene Gruppen von Hilfsbedürftigen, mit denen wir uns regelmäßig trafen. Dazu gehörten zum Beispiel die Schuhputzer am Busbahnhof und vor dem Postamt. Wir betreuten auch einige Familien, deren Mütter durch Straßenverkauf den Lebensunterhalt bestritten. Jede Woche trafen sich die Frauen, um verschiedene Handarbeiten zu lernen, mit denen sie später ihr Einkommen verbessern wollten. Auch mit einigen Töchtern machten wir Bastel- und Handarbeiten. Freizeitangebote für die Kinder kamen ebenfalls nicht zu kurz. Ausflüge und ein Fußballturnier mit den Straßengruppen gehörten zu den Höhepunkten meines Aufenthaltes.

Durch Hausbesuche konnte ich die Lebenssituation der Familien kennenlernen. Das hat mir sehr geholfen, sie besser zu verstehen. Die meisten wohnten mit ihrer vielköpfigen Familie in ein oder zwei Räumen, teilweise ohne Wasser- und Stromanschluß, mit zwei oder drei Betten für die ganze Familie. Ich habe mich immer gewundert, wie die Familien mit ihrem geringen Einkommen leben können.

Neben der Arbeit blieb mir auch genügend Zeit, um das Land und seine Kultur kennenzulernen. Für mich war es ein Jahr mit vielen wertvollen Erfahrungen und interessanten Erlebnissen, die ich nicht missen möchte. Ich denke, ich habe einen weiteren Blick bekommen, meine Toleranz gegenüber Menschen, die anders leben, ist gewachsen.

Seit meiner Abreise hat sich in dem Hilfswerk einiges getan. Ein neues, großes Wohnhaus für die Mädchen ist dazugekommen. Auch Werkstätten sind entstanden, in denen Jungen und Mädchen eine Ausbildung als Tischler, Bäcker, Friseur, Kosmetiker oder Computerfachkraft beginnen können. Padre José, der die Stiftung leitet, hat weitere Pläne: Er möchte eine Kinderklinik errichten, in der die Straßenkinder behandelt werden können, und ein Übernachtungsheim für Straßenkinder."

Anmerkung: Wer Cornelia Hajek zu einem Diavortrag in die Gemeinde oder Jugendgruppe einladen möchte oder wer die Stiftung "Regenbogen" unterstützen will, kann die Adresse beim Tag des Herrn erfahren.
Infos über den "Missionsdienst auf Zeit" gibt Schwester Hildegard Ossege, Neue Kantstr. 1, 14057 Berlin, Telefon 030 / 32 00 01 46.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 30 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 26.07.1998

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