Zwischen alten Traditionen und neuen Ideen
Neue Liturgiekomission
Magdeburg (dw) - Gemeinschaft gehört zum Wesentlichen des Gottesdienstes. Dennoch scheiden sich in den Kirchengemeinden häufig gerade am Gottesdienst die Geister. Den einen geht die Bewahrung des liturgischen Kulturgutes über alles, die anderen fordern Lebendigkeit ein und wollen sich selbst in der Liturgie wiederfinden.
Die Liturgiekommission, die kürzlich im Bistum Magdeburg gegründet wurde, wird sich auf dem Grat zwischen beiden Polen bewegen müssen. Die Kommission, der Priester und Diakone aus allen Dekanaten des Bistums angehören, ist weder als strenges Kontrollorgan zur Ahndung liturgischer Abweichungen ins Leben gerufen worden noch als Bahnbrecher für ungebremste zeremonielle Experimentierwut. Die Ursache für die Gründung liegt in einer Empfehlung der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, in jedem Bistum eine derartige Kommission einzusetzen.
Die Ziele der Magdeburger Kommission sind in einem Statut festgeschrieben, das einige Mitglieder selbst erarbeitet haben. Ordinaritasrat Theodor Steinhoff, der die Kommission leitet, sieht dem Geist des Konzils entsprechend den Schwerpunkt der Kommissionsarbeit darin, die aktive Beteiligung der Gemeinden am Gottesdienst zu fördern: "Viele Formen sind erstarrt, die Gottesdienste oft langweilig. Gelegenheiten, den Alltag dort einzubringen, fehlen", bemängelt er. "Welche Symbole sprechen heute noch an? Ist beispielsweise Weihrauch heute noch sinnvoll? Welche Formen sind glaubwürdig? Wie können wir Offenheit wecken für das Göttliche in der Liturgie?" Über diese Fragen sollte im Bistum nachgedacht und gesprochen werden, sagt Theodor Steinhoff. Er glaubt daran, daß nicht alles so bleiben muß, wie es ist. Der Heilige Geist wirke auch in der Liturgie.
Dabei will er nicht mißverstanden werden: "Natürlich ist nicht alles, was neu ist, gut. Von der Kommission wird erwartet, daß sie den vielerlei Möglichkeiten, die es gibt, Liturgie zu feiern, auch kritisch gegenüber steht und mit guten Gründen entscheidet, was gut ist", betont er. Es gebe Elemente der Liturgie, die nicht verändert werden dürften. Zu den Aufgaben der Kommission gehöre auch, die Bedeutung alter Symbole wieder stärker ins Bewußtsein zu rücken. In vielen Kirchen habe er beispielsweise beobachtet, daß der Altar sich in einen Abstellplatz für Brillenetuis und andere Utensilien entwickelt habe. Offensichtlich sei dort die Sensibilität dafür verlorengegangen, daß der Altar für Jesus Christus stehe.
Mit liturgischen Themen hatte sich Steinhoff bereits in seiner Studienzeit in Paderborn beschäftigt. Der heute 68jährige ist von der Jugendbewegung geprägt worden. Für seine Generation war die liturgische Frage zentral. Es sei damals darum gegangen, verstehbar zu machen, was in der ritualisierten lateinischsprachigen Liturgie vorging, zu ihrem Kern vorzustoßen. Er selbst wünschte sich als Kind das Meßbuch "Schott" zur Erstkommunion, hatte vorher häufig heimlich im "Schott" seiner Eltern geblättert.
Als langjähriger Leiter der Schulabteilung des Bistums hat er beobachtet, daß die Interessen der Jugendlichen heute andere sind. Sie hätten durchaus einen Sinn für Feiern, legten aber stärker als frühere Generationen Wert auf Ehrliches, Unkompliziertes, auf Liturgie mit menschlichem Charakter.
In selbstgestalteten Schulgottesdiensten seien Bibeltexte wichtig, Gesänge, meditative Formen, Tanz, Symbole und Rituale. Predigten kämen in der Regel nicht vor, Priester hätten keine Funktion. Im Kontakt mit Jugendlichen in der Kirche gilt für Theodor Steinhoff in besonderem Maße, was er sich für die Arbeit in der Kommission vorgenommen hat: Initiativen nicht zerstören, sondern begleiten und anfragen.
Die Mitglieder der Kommission möchten möglichst viele Christen im Bistum in Gespräche über liturgische Themen einbeziehen. Geplant sind unter anderem liturgische Fachtagungen für Priester, Diakone und Laien, die Gottesdienste leiten oder für Mitarbeiter in Liturgiekreisen der Gemeinden. Theodor Steinhoff hält es für wünschenswert, daß sich in jeder Gemeinde ein Liturgiekreis bildet.
Weitere Aufgaben der Liturgiekommission sind die Förderung von wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich der Liturgie, die Zusammenarbeit mit der Liturgie-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz und die Überarbeitung des Kalenders der Bistumsheiligen und der zugehörigen Texte für Gottesdienst und Brevier. Mit der Überarbeitung des Kalenders hat die Kommission bereits begonnen.
Die Identität eines Bistums stehe im Zusammenhang mit seinen Heiligen, erläutert Rat Steinhoff. Es werde darüber nachgedacht, welche Heiligen für heutige Christen des Bistums Magdeburg wichtig seien und welche stattdessen eher in den Hintergrund getreten seien. In den Gebetstexten werde zum Ausdruck gebracht, was die Heiligen zeitgenössischen Gläubigen zu sagen hätten.
Eine Magdeburger Heilige, deren Bedeutung nach Ansicht vieler Katholiken im Bistum stärker hervorgehoben werden sollte, ist Gertrud von Helfta. Verschiedene Gruppen, auch in anderen deutschen Bistümern, setzen sich seit einigen Monaten dafür ein, daß die Helftaer Mystikerin zur Kirchenlehrerin erhoben wird.
Die Magdeburger Liturgiekommission muß die eingehenden Voten bearbeiten, so daß sie für ein langwieriges Prüfungs- und Anerkennungsverfahren im Vatikan verwendbar sind. Auf Theodor Steinhoffs Schreibtisch liegt bereits eine Mappe mit mehr als 1000 Unterschriften von Christen, die darum bitten, Gertrud zur Kirchenlehrerin zu erheben. Die Magdeburger Bistumsleitung hat sich dafür entschieden, das Ansinnen nach Kräften zu unterstützen. "Es tut unserem Bistum gut, wenn wir diese Initiative nicht untergehen lassen", sagt Ordinariatsrat Steinhoff.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 26.07.1998