Dauer-Brummen und "Katholischer Käse"
Berliner Luftbrücke
Am 24. Juni 1948 blockierten sowjetische Soldaten sämtliche Zufahrtswege zu Wasser und zu Land zwischen West Berlin und den West-Zonen. Nur zwei Tage später reagierten die Westalliierten und begannen, Lebensmittel auf dem Luftweg nach Berlin zu transportieren. Den jungen Wolfgang Knauft, 1948 gerade mit dem Abiturzeugnis in der Tasche, wird man auf keinem der zahlreichen Fotos entdecken können, auf denen Berliner Kinder den landenden Rosinenbombern zujubeln.
Aber auch Wido Krajewski - er war 1948 gerade mal zehn Jahre alt - hat an derartige Szenen keine persönliche Erinnerung: "Wir hatten ja für fünfzehn Pfennige Schülerfahrscheine bei der BVG, und wir sind den ganzen Tag durch Berlin gefahren - ich habe mir auf diese Weise die Stadt erobert. Es kann sein, daß wir auch am Flughafen Tempelhof waren, aber dort war's immer so voll!"
Für den kleinen Krajewski war zunächst nur schwer zu verstehen, was da eigentlich vor sich ging, "Blockade hieß bei uns, daß es von dem Wenigen noch weniger gab. Es war immer alles rationiert - wir hatten auch Hunger - insofern war das nichts Außergewöhnliches, bis uns klar wurde, daß das sehr lange dauern kann". Aber auch bei ihm wuchs schnell die Einsicht, daß es zum Ausharren in der Blockade keine Alternative gab: "Die sowjetische Besatzung empfand ich als Bedrohung. Sicher beruhte das auf einem Vorurteil, das ich von den Erwachsenen übernommen hatte. Das Vorurteil, daß das die ,Bolschewiken', die ,Untermenschen' sind, die da kommen, stammte noch aus der Nazizeit, und schließlich gab es ja auch bittere Erfahrungen."
Und so versuchte man auch in der Ausnahmesituation so etwas wie Alltag zu erleben. Zweimal pro Woche wurden die Nahrungsmittellieferungen der Alliierten auch über die Kirchengemeinden verteilt, und Wido half kräftig mit. An jeder Ausgabestelle gab es gewisse "Spezialitäten", die es an anderen Stellen nicht gab. Pfarrer Krajewski erinnert sich noch an "katholischen Käse" aus riesigen Blechdosen: "Das war 'ne Attraktion in der Schule. Es gab andere, die hatten andere Verbindungen, und da haben wir dann getauscht. Mein katholischer Käse, dieser gelbliche gesalzene Cheddar, war 'ne Delikatesse für viele andere. Ich hab auf diese Weise Schinken und ähnliches organisieren können."
Die Luftbrücke diente nicht nur der Versorgung der blockierten Stadt mit lebenswichtigen Gütern. Auf dem Rückweg transportierten die "Rosinenbomber" Berliner Kinder nach Westdeutschland. Wido Krajewski war auch für so einen Transport vorgesehen, organisiert vom Caritasverband. Das Ganze war allerdings eine Tempofrage: Damit möglichst viele Flugzeuge in Berlin landen konnten, kam es beim Be und Entladen auf jede Minute an. Täglich wurden Wido Krajewski und seine Kameraden mit einem alten Doppeldeckerbus zum Flughafen Tempelhof gebracht und mußten dort am Rand des Rollfeldes bereitstehen, um dann möglichst schnell "verladen" zu werden. Pfarrer Wido Krajewski: "Das ging so 14 Tage, jeden Morgen sind wird da hingekarrt worden, bekamen unsere Stullenpakete, die von Tag zu Tag kleiner wurden, und kamen abends wieder zurück - sehr zum Erstaunen unserer Eltern".
Ein Ausfliegen über Tempelhof war unmöglich. Nach langem hin und her verließ Wido Krajewski schließlich mit einem Wasserflugzeug von der Havel aus die belagerte Stadt: "Das war natürlich eine Attraktion: Auf diesem schaukelnden Kahn war der Hälfte der Kindern schon vorher schlecht, bevor's überhaupt in die Luft ging".
Wolfgang Knauft hatte 1948 gerade Abitur gemacht und wollte studieren. Da hätte ihm die Berlin Blockade beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denn Theologie zu studieren, das ging damals nur in Westdeutschland. Doch nach einigen langwierigen Verhandlungen ergab sich auch für ihn und andere aus den Bistümern Berlin und Meißen die Möglichkeit, eine "Dakota", einen der berühmten Rosinenbomber von innen zu sehen.
Auf dem Flughafen Gatow hatte man provisorisch Sitzreihen in eine Dakota-Maschine gestellt, und von da aus ging es über den nördlichen Flugkorridor nach Lübeck und weiter mit der Bahn nach Fulda.
"Man sah noch Mehl in der Ecke liegen, es war Mehl transportiert worden und offenbar war ein Sack kaputtgegangen", erinnert sich Prälat Knauft. Während des ganzen ersten Studiensemesters war ihm die Luftbrücke auch in Fulda ständig präsent, weil der Haupt Luft-Korridor von Frankfurt nach Berlin gewissermaßen direkt über sein Studierzimmer in Fulda führte.
"Wir hatten also immer das Brummen der Flugzeuge über uns, aber das war keine Belästigung, sondern eine Beruhigung, daß die Angehörigen weiter versorgt werden konnten durch die Luftbrücke". Auch heute ist Prälat Wolfgang Knauft das Verhalten der Sowjets unverständlich: "Eine Weltmacht, die im sogenannten Großen Vaterländischen Krieg die Aushungerung der Stadt Leningrad durchgehalten hat, griff nun in Friedenszeiten zu den gleichen Mitteln, der Aushungerung von 2,2 Millionen Berlinern um eines politischen Zieles willen." Viele Einzelheiten seien verblaßt in der Erinnerung, aber die Gewißheit, daß alles ein gutes Ende nehmen würde, an die erinnert sich Prälat Knauft ganz genau. Letztendlich hätten Blockade und Luftbrücke vieles verändert, was Moskau in dieser Weise sicher nicht vorausgesehen hatte: "Die Besatzungsmächte wurden von der Berliner Bevölkerung erstmals als Verbündete betrachtet." Eines freut den Berliner Prälaten besonders: Daß das 50jährige Jubiläum der Luftbrücke in einer vereinten Stadt gefeiert werden konnte.
Stefan Förner
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.08.1998