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Aus der Region

Interview mit der Allensbach-Forscherin Köcher

Die Kirchen sprechen zu wenig von Gott

Dr. Renate Köcher ist Chefin des Instituts für Demoskopie in Allensbach.

Renate Köcher
In der Caritas sehen viele Menschen eine glaubwürdige und kompetente Kirche. Anders scheint es, wenn es um religiöse Weisungen für die eigene Lebensgestaltung geht und um Glaubensfragen. Wie steht es um das Gespräch über Gott?
Die Frage ist, wieweit die Kirchen den Versuch machen, mit den Menschen über diese Themen zu kommunizieren. Die Versuchung ist groß, sich auf die Rolle des caritativen Dienstleisters zurückzuziehen, eine Rolle, von der die Kirche weiß, daß sie der Gesellschaft hoch willkommen ist. Im caritativen Bereich ist die Position der Kirche außerordentlich stark, in der Verkündigung dagegen deutlich schwächer.
Können Sie Ursachen nennen?
Die religiösen Bindungen in der Gesellschaft sind schwächer geworden, und damit hat sich auch der Kontakt zwischen Kirchen und Bevölkerung gelockert. Die Kirchen sind nur noch mit einer Minderheit der Bevölkerung wirklich im Gespräch. Übrigens die katholische Kirche noch weitaus mehr als die evangelische Kirche. Insbesondere der Kontakt zu den mittleren und jüngeren Jahrgängen ist unbefriedigend. Dadurch fehlt den Kirchen teilweise die Möglichkeit, in einen intensiven Dialog über Glaubensfragen einzutreten. Man muß jedoch auch sehen, daß den Kirchen heute jeder missionarische Zug weitgehend fremd geworden ist.
Läßt sich das belegen?
Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung sind in den letzten Jahren offensiv auf Glaubensfragen angesprochen worden. Wenn man hier nachfaßt und fragt: "Von welcher Glaubensgemeinschaft oder Kirche wurden Sie angesprochen?", so waren es fast ausschließlich Zeugen Jehovas und andere Sekten. Nur eine verschwindende Minderheit hatte die Erfahrung gemacht, daß ein Protestant oder Katholik offensiv den Dialog über Glaubensfragen gesucht hatte.
Besteht also eine massive Kommunikationsstörung der Kirchen mit Blick auf den Kern ihrer Botschaft?
Das ist für mich eines der gravierendsten Probleme überhaupt zur Zeit. Es wird viel zu wenig über Glauben und Glaubensfragen gesprochen in der Gesellschaft. Es wird zwar sehr viel über die Kirche gesprochen, was Kirche macht und sagt, über ihre Veranstaltungen und die Reisen des Papstes. Über den Glauben wird wenig kommuniziert. Selbst in den Gottesdiensten geschieht es häufig nur auf eine sehr routinierte, formalisierte Art, die den Glauben nicht überzeugend lebendig werden und strahlen läßt.
Werden Glaubensfragen nicht offen genug diskutiert?
Es gibt eine ausgeprägte Scheu, teilweise auch Unfähigkeit, überhaupt über Glaubensüberzeugungen zu sprechen. Hinzu kommt eine ausgeprägte Binnenorientierung weiter Teile der Kirche. Fragen wie die Demokratisierung der Kirche sind sicher wichtige Themen, aber wenn sie davon ablenken, darüber nachzudenken, was man der Gesellschaft in Bezug auf Glaubenssubstanz und Wertevermittlung bringen könnte, dann halte ich das für eine falsche Setzung von Schwerpunkten.
Welche Kommunikationswege muß die Kirche gehen, um das Gespräch über Gott und den Glauben in die Gesellschaft zu bringen? Werbekampagnen, wie man das mancherorts versucht?
Eine Werbekampagne stünde für mich sicher nicht im Mittelpunkt. An erster Stelle muß die Frage stehen, wie jungen Menschen, wie Kindern überhaupt das Interesse am Glauben vermittelt werden kann. Eine Aufgabe, die natürlich primär in Elternhäusern und Schulen angesiedelt ist. Viele Eltern fühlen sich jedoch heute schon außerstande, Glauben zu vermitteln. Auch bei vielen Eltern ist eine Scheu festzustellen, über solche Fragen überhaupt zu sprechen. Der Glaube ist heute fast das größte persönliche Geheimnis, die eigentliche Intimsphäre, das Unsagbare, während sonst ja alles sagbar geworden ist in dieser Gesellschaft. Die Kirche muß sich um so mehr fragen, was sie aus den Begegnungschancen machen kann, die sie mit der Bevölkerung noch hat. Der frühere Kardinal Höffner hat ja schon vor vielen Jahren gesagt: Die größten Kontaktchancen liegen mittlerweile bei Beerdigungen, Taufen und Hochzeiten. Als Kirche muß ich also überlegen, was ich aus diesen Kommunikationschancen mache? Wie kann ich sie nutzen, um für Kirche und Glauben zu interessieren? Zweitens müßten die Kirchen in den modernen Medien noch stärker präsent sein als heute. Wir leben heute in einer Informations- und Kommunikationsgesellschaft, in der immer mehr Botschaften ausgesandt werden. In diesem Umfeld dürfen die Kirchen nicht untergehen, sondern müssen noch stärker präsent sein, als sie es heute sind.

Interview: Gerrit Schulte

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 32 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.08.1998

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