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Aus der Region

Poesie, Märchen und Forschung

Am Wegesrand (3)

Schloß-Wiederstedt Wäre es nach dem Willen der DDR-Machthaber gegangen, würde heute nur noch ein Schild an das Schloß Oberwiederstedt erinnern. Doch eine örtliche Bürgerinitiative widersetzte sich den staatlichen Stellen und verhinderte so den vorgesehenen Abriß, und dies schon 1987. Heute ist das Schloß ein Zentrum für Literaturfreunde aus aller Welt: Hier wurde am 2. Mai 1772 einer der bedeutendsten Dichter und Philosophen der Romantik geboren. Die Rede ist von Georg Philipp Friedrich von Hardenberg, bekannt geworden unter seinem Dichternamen NOVALIS.

Wiederstedt - mitten im Mansfelder Land gelegen - ist seit 944 urkundlich belegt. Anstelle des Schlosses erwähnen 1256 ausgestellte Urkunden zunächst ein Kloster an diesem Ort. Die geistliche Grundlage des Klosterlebens war die Regel des Kirchenvaters Augustinus, doch verpflichtete man die Nonnen gleichzeitig auf das Statut der Dominikaner. Das führte zu unterschiedlichen Bezeichnungen, bis hin zu einer Urkunde des Papstes Bonifatius IX. und einer von den Nonnen selbst ausgestellten Urkunde, die das Kloster als Nonnenkloster des Augustinerordens bezeichnen. Tatsächlich aber waren bereits 1287/88 die mehr als 100 Nonnen regulär in den Dominikanerorden aufgenommen worden. Die lutherische Reformation veranlaßte die Ordensschwestern im Sommer 1523 zur Flucht. Nach Aufhebung des Klosters wurde Oberwiederstedt zu einem Adelssitz. Kürzlich fand im Schloß Oberwiederstedt eine Ausstellung zur Geschichte dieses Dominikanerinnenklosters statt, berichtet Dr. Gabriele Rommel, die Leiterin der heutigen Forschungsstätte für Frühromantik.

Zusammen mit ihren Mitarbeitern baut Gabriele Rommel seit sechs Jahren die Forschungsstätte und das dazugehörige Novalis-Museum zu einem kulturellen Zentrum der Region auf. Sie erklärt warum: "Novalis gilt heute als universeller Geist seiner Zeit, was in seinen Schriften und Entwürfen deutlich wird." Neben den Gebrüdern Schlegel und Ludwig Tieck gilt er als Begründer des frühromantischen Dichterkreises. Novalis arbeitete nach einem eigenen Konzept. Er war der Auffassung, daß man seine Ideen sofort niederschreiben sollte, so daß man selbst oder ein anderer sie jederzeit vollenden könne. So hinterließ Novalis zahlreiche Fragmente und Entwürfe, aber auch fertige Schriften wie die Geschichte "Die Lehrlinge zu Sais". Schon 1802 erschien eine erste Ausgabe seiner Dichtungen. Eines der bekanntesten Werke des Frühromantikers trägt den Titel "Hymnen an die Nacht". In ihnen und in anderen Texten versucht Novalis, den Tod seiner ersten Verlobten Sophie von Kühn zu verarbeiten. Dies brachte ihn in den Ruf eines schwermütigen Dichters voller Todessehnsucht, was er jedoch nach heutigen Forschungen nicht war, wie Gabriele Rommel berichtet. Sie verweist unter anderem auf sein Essay "Die Christenheit und Europa", in dem sei bereits der heutige Europa-Gedanke formuliert worden. Auch der Ausspruch "Geschichte wird langsam wieder das, was sie war, ein Märchen", stammt von Novalis. Der junge Mann, so die Wissenschaftlerin, war voller Philosophien und Gedanken über seine Umwelt und das sonst so Selbstverständliche. Seine Schriften sind geprägt von dieser, seiner Sichtweise vom Menschen. Novalis starb 1801 mit 28 Jahren an Tuberkulose und hinterließ ein doch beeindruckendes Lebenswerk.

Diesem widmet sich seit 1992 die Internationale Novalis Gesellschaft mit Sitz in Wiederstedt. Zur Gesellschaft gehören heute rund 400 Mitglieder aus allen Erdteilen. Gabriele Rommel, die im Präsidium der Gesellschaft arbeitet, berichtet, daß das Schloß in Wiederstedt immer größere Popularität erlangt und dadurch der Name Novalis auch über die Grenzen hinaus bekannt wird.So wird am Aufbau einer "imaginären Novalis- Bibliothek" gearbeitet, in der die Bücher großen Raum einnehmen sollen, die von Novalis selbst gelesen wurden: Literatur seiner Zeit, philosophische, theologische, naturwissenschaftliche und künstlerische Schriften. Damit soll eine Art Forschungsbibliothek entstehen.

Neben den wissenschaftlichen Arbeiten und den anderen Aktivitäten gehören Kinder zu den Stammgästen im Schloß. Die Leitidee dafür gab wiederum Novalis: "Wo Kinder sind, da ist ein goldenes Zeitalter." In seinem Geburtszimmer befindet sich heute die Märchenstube. Dort entstand ein Buch, welches "von Kindern für Kinder" gestaltet wurde und den Titel " Alles ist ein Märchen" trägt. Inhalt des Buches sind Geschichten und Zeichnungen, welche die Kinder selbst verfaßten, erzählt Gabriele Rommel.

Dies sind nur einige Teile des umfangreichen Öffentlichkeitsprogramms, welches entstand. Die Einrichtung bietet ganzjährig zahlreiche Ausstellungen und Veranstaltungen sowie Märchenstunden für Kinder, Seniorennachmittage, Konzerte und Vorträge. Derzeit findet eine Ausstellung zu Novalis Werk "Die Lehrlinge zu Sais" mit Bildern von August Ohm statt. Interessenten haben noch bis zum 30. September die Möglichkeit, diese Veranstaltung zu besuchen.

Anett Blaschka

Tips: Novalis- Museum Schloß Oberwiederstedt, Schäfergasse 6, 06333 Wiederstedt,Telefon: 03476/ 85 27 20, Dienstag bis Sonntag 10 bis 16 Uhr, Montag geschlossen

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 32 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.08.1998

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