Ein Plädoyer fürs Mitmachen
Offene Kanäle
Arnstadt / Gera / Halle (ep) - Es ist Mittwochabend. Andreas Schuster hat sein Fernsehgerät eingeschaltet und den Offenen Kanal gewählt. Nach Kurznachrichten über veränderte Gebühren bei der Müllentsorgung und nach einer Sendung über das Engagement eines Wohlfahrtsverbandes für Senioren wird nun ein Beitrag über ein internationales Sommertreffen Jugendlicher im nahegelegenen Katholischen Jugendhaus ausgestrahlt. Der Film erzählt etwas über die Entstehungsgeschichte des Treffens, läßt Teilnehmer zu Wort kommen und informiert nebenbei über weitere Angebote des Jugendhauses. Andreas Schuster, der katholischer Christ ist, gefällt der Beitrag. Am nächsten Tag spricht er mit seinen Freunden über das Jugendtreffen
So oder ähnlich könnte es sich demnächst in der Region Leinefelde oder im Raum Merseburg-Querfurt abspielen, wenn dort Offene Kanäle eingerichtet sind. Auf Sendung ist ein solcher Bürgerfunk-Kanal seit knapp zwei Jahren in Gera und seit 1985 in Berlin. In etlichen westlichen Bundesländern gibt es derartige Hörfunk- und Fernseh-Kanäle seit mehr als 10 Jahren
"Offene Kanäle bieten allen Bürgern die Möglichkeit, sich selbstverantwortlich mit selbstbestimmten Inhalten an die Öffentlichkeit zu wenden", erläutert der Eisenacher Pfarrer und Domkapitular, Dr. Andreas Egenolf, der die Katholische Kirche in der Versammlung der Thüringer Landesmedienanstalt vertritt und dort im Ausschuß "Offener Kanal" mitarbeitet. "Auch unsere Gruppen, Gemeinden und Verbände haben hier Möglichkeiten, sich mit ihren Aktivitäten und Angeboten vorzustellen. Von daher", so Egenolf, "kann ich vor allem an Medien interessierte junge Leute nur ermutigen, sich für Offene Kanäle zu engagieren und dort, wo sie eingerichtet werden, die Chancen lokalen oder regionalen Bürgerfunks zu nutzen."
Offene Hörfunk- und Fernsehkanäle entstehen derzeit in mehreren Regionen Sachsen-Anhalts und Thüringens. Im vergangenen Jahr wurden nach der Novellierung des Landesrundfunkgesetzes in Sachsen-Anhalt fünf Lizenzen für Offene Fernseh-Kanälevergeben: Wernigerode, Wittenberg und Salzwedel sind inzwischen auf Sendung. Merseburg-Querfurt wird im September folgen, und auch Magdeburg soll noch dieses Jahr an den Start gehen, wie Janine Gödicke vom Landesrundfunkausschuß für Sachsen-Anhalt in Halle auf Anfrage mitteilte. Im Freistaat Thüringen besteht wie bereits erwähnt seit zwei Jahen ein Offener Fernseh-Kanal in Gera. Am 2. September wird hier der deutschlandweit erste Offene Kanal für Kinder eröffnet. "Wir wollen versuchen, im Rahmen von medienpädagogischen Spielen die Vorstellungen der Kinder medial umzusetzen", sagt Frank Karbstein vom Offenen Kinderkanal. Zunächst soll jeweils dienstags ab 17.00 Uhr einige Minuten gesendet werden. Außerdem soll es in Thüringen demnächst Bürgerfernsehen in der Region Leinefelde und Bürgerradio in Erfurt und Jena geben, so Angelika Heyen von der Thüringer Landesmedienanstalt in Arnstadt. Weitere zwei oder drei Offene Kanäle seien an anderen Standorten geplant
Im Land Brandenburg sind hingegen nur kommerzielle lokale Anbieter auf Sendung, wie sie auch in den anderen neuen Ländern arbeiten. Sachsen wiederum richtet Ausbildungs- und Erprobungskanäle ein, deren Schwerpunkt auf der Qualifikation junger Leute liegt
Finanziert und getragen von der jeweiligen Landesmedienanstalt beziehungsweise von Trägervereinen stellt ein Offener Kanal den Bürgern die notwendigen technischen Voraussetzungen für die Herstellung und Einspeisung von Hörfunk- und Fernsehbeiträgen ins Kabelnetz oder zur terrestrischen Übertragung zur Verfügung: Film- und Videotechnik, Kameras, Hörfunkaufnahmegeräte, Schnittund Studioräume ... Angestellte Medienfachleute und ABM-Kräfte machen interessierte Bürger mit dem Umgang der Technik vertraut und übernehmen die Einspeisung der Beiträge. Die Sendezeit beläuft sich in der Regel auf wenige Stunden an bestimmten Tagen der Woche. Kanäle und Frequenzen sowie dixe Studiostandorte werden öffentlich bekannt gemacht. Die Beiträge werden kostenlos von den Anbietern zur Verfügung gestellt. So könnte im Beispiel über den Beitrag zum Jugendtreffen eine Gruppe junger Leute, die sich in einem medienpädagogischen Projekt des Jugendhauses engagiert, den Film erstellt und bereitgestellt haben
"Gegen die Offenen Kanäle spricht natürlich, daß jeder annähernd alles senden kann, vorausgesetzt, es ist nicht gewaltverherrlichend oder pornographisch", sagt Dr. Egenolf. "Andererseits hat so ein Offener Kanal aber eine nicht zu unterschätzende medienpädagogische und demokratiefördernde Seite. Indem junge Leute selbst Video- und Hörfunkbeiträge erstellen, lernen sie, bewußter Beiträge im Fernsehen und Radio wahrzunehmen. Insofern ist die an einem Offenen Kanal angesiedelte Medienarbeit auch ideal für Schulklassen und andere Gruppen junger Leute", so Egenolf. "Wenn es im Umfeld solcher Offenen Kanäle zum Beispiel Gemeindereferenten gäbe, die sagen, mit einer Gruppe von Medienfans stellen wir vier / fünf Mal im Jahr ein Video über das Gemeindeleben zusammen und senden es im Offenen Kanal, dann wäre das ideal."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 23.08.1998