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Bistum Dresden-Meißen

Manfreds neue Welt heißt St. Veronika

Bautzen

Bautzen (jak) - Seine einzige Waffe ist das Bettnässen. Damit konnte Manfred sein Mißfallen, seinen Ärger und den alltäglichen Frust ausdrücken, weil ihn ja sonst in der geschlossenen Psychiatrie doch keiner hörte. Sein Schicksal ist das vieler anderer geistig behinderter Menschen zu DDR-Zeiten, sie wurden einfach in weggeschlossen, aus dem normalen Leben verbannt. Nach der Wende sind hier Besserungen erreicht worden. Und wenn es auch immer noch hunderte gibt, die weiter hinter geschlossenen Mauern leben müssen. Für Manfred jedenfalls ist der Alptraum vorbei, er lebt jetzt im Wohnheim für Behinderte St. Veronika in Bautzen, das im April diesen Jahres eröffnet wurde. Insgesamt gibt es vier Gruppen mit jeweils zehn Personen, wobei noch einige Plätze frei sind. Die Jüngste im Haus ist derzeit 20 Jahre alt, die Älteste 55

Diplomsozialarbeiterin Gabriela Hanschmidt, die Leiterin der Einrichtung erklärt Anliegen und Aufgaben, die gesetzlich durch das sächsische Enthospitalisierungsprogramm geregelt sind. "Ein großer Teil unserer Behinderten lebte früher in psychiatrischen Einrichtungen oder auch in Pflegeheimen. In beiden Fällen ist es so, daß behinderte Menschen dort einfach nicht hingehören", betont Gabriela Hanschmidt. Dazu kommen einige Erwachsene, die ihr Leben auf eigene Füße stellen wollen und somit trotz ihrer Behinderung die Bindung an das Elternhaus lösen können. Diese und die ehemaligen "Insassen" haben im Haus St. Veronika jetzt die Möglichkeit, ein weitestgehend selbstbestimmtes Lebens zu führen. Ihnen zur Seite stehen geschulte Fachkräfte, die bei allen Sorgen, Nöten aber auch Freuden des Alltags zur Seite stehen. Keiner soll im Haus allein bleiben, aber es ist möglich, wenn sie oder er es will

Wochentags ist es ruhig im Haus. Die meisten Bewohner arbeiten in einer geschützten Werkstatt der Diakonie. Im Garten treffen sich gerade die im Haus verbliebenen Frauen und Männer. Ihnen ist es aufgrund der Schwere ihrer Behinderung nicht möglich, die Werkstatt zu besuchen. Aber was nicht ist, das kann ja noch werden. Dazu ist es notwendig, die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und oft auch zu entdecken

"Wir legen Wert auf die individuelle Betreuung. Auch wenn wir nicht jeden Handgriff abnehmen wollen", berichtet Gabriela Hanschmidt. Manfred ist schüchtern, seine Blicke gehen immer wieder auf die Malarbeiten der anderen, selbst seine Hände bleiben zusammengefaltet auf dem Tisch liegen. Nur seine Augen zeigen, daß es ihm doch nicht egal ist. Nachher, wenn alle anderen im Haus verschwunden sind, wird auch Manfred anfangen zu malen. Hätte er von Anfang an die Betreuung erhalten, die er zur Entwicklung seiner Fähigkeiten braucht, könnte er längst mit in die Werkstatt gehen

Manfred wird aller Voraussicht nach bis zu seinem Tod in der Einrichtung leben, die vom Caritas-Sozial-Werk getragen wird. Er wird ein Leben führen, so frei wie es eben für behinderte Menschen möglich ist. Gabriela Hanschmidt verweist auf die vielfältigen Angebote, die heute für Behinderte in Bautzen möglich sind, darunter eigene Disco- oder Sportveranstaltungen. Besonders froh ist die Leiterin über die guten Kontakte zur Bautzner Domgemeinde St. Petri. Die Leute vom Haus St. Veronika wurden zum Gemeindefest eingeladen, Jugendliche kamen im Gegenzug, um das Frühlingsfest im Haus zu gestalten und im Pfarrblatt erscheint ein eigener Artikel. Eigene Ausflüge an den Sonntagen oder ein gemeinsamer Urlaub runden das Leben hier genauso ab, wie in jedem anderen Haushalt auch. "Uns ist es wichtig, deutlich zu machen, daß Behinderte Menschen sind wie andere auch, aber eben mit Einschränkungen", betont Gabriela Hanschmidt. Dabei verschweigt sie nicht, daß es immer noch Menschen gibt, die Berührungsängste im Umgang mit den behinderten Menschen haben. Die einen geraten ins übertriebene Mitleid - so nach dem Motto "Der arme Mensch" - , die anderen lehnen Behinderte ganz ab. Beides, so die Leiterin, ist falsch. Auf Behinderte soll jeder andere genauso zugehen, wie er es sonst in seinem Leben macht. Um Brücken über die Gräben der Mißverständnisse zu bauen, laden die Bewohner des Hauses St. Veronika und alle Mitarbeiter für den 26. September zu einem "Tag der offenen Tür" ein

Dennoch ist das Leben im Haus in der Realität nicht ganz so harmonisch, wie es auf den ersten Blick scheint. So ist es Manfred bis heute nicht gelungen, seine angestaute Wut anders als durch das Bettnässen zu zeigen. Doch Gabriela Hanschmidt ist sich sicher, daß Manfreds Bettnässen irgendwann einmal überwunden wird. Mangelnde Förderung haben bei allen geistig Behinderten, die einst in der Psychiatrie weggeschlossen waren, negative Verhaltensweisen zur Folge. Gabriela Hanschmidt benennt die Probleme: Nikotinabhängigkeit, Alkoholgefährdung, mangelnde Konfliktbewältigung, Aggressionen und Unselbständigkeit

Dazu kommt, daß die Pflegesätze über den Landeswohlfahrtsverband zu niedrig sind. Auch, so die Leiterin, ist im Freistaat Sachsen der Stellenschlüssel der Pflegesätze im Vergleich zu allen anderen Bundesländern am geringsten. Daher ist das Haus St. Veronika auch auf Spenden angewiesen

Doch Gabriela Hanschmidt, alle Bewohner und Mitarbeiter lassen sich von den Problemen nicht erdrücken. Mit St. Veronika - die der Überlieferung nach Jesus das Schweißtuch reichte - wurde in Bautzen ein Weg in Richtung Zukunft für geistig Behinderte begonnen. Und Manfreds neue Welt heißt seit April Haus St. Veronika

Kontakte: Haus St. Veronika, Hanns-Eisler-Str. 12 in 02625 Bautzen

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 34 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 23.08.1998

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