Für fast jeden eine Perspektive
Kolping-Bildungswerk
Erfurt (ep) - "Man soll gewiß nicht aus dem Menschen machen wollen, wozu die hinreichenden Kräfte nicht in ihm vorhanden sind", schreibt Adolf Kolping. "Aber was man aus ihm machen kann, das soll man nicht unversucht lassen." Diesem Motto fühlen sich die 18 Mitarbeiter des Kolping-Bildungswerkes im Erfurter Wermutmühlenweg 11 verpflichtet. Seit Herbst 1994 bieten die Sozialpädagogen, Ausbilder und Lehrer jungen Menschen mit schlechten Ausbildungschancen eine Perspektive an: In unterschiedlich konzipierten Berufsvorbereitungskursen haben junge Leute die Möglichkeit, eine sogenannte Berufsausbildungsreife zu erwerben und sich damit gute Voraussetzungen für die Aufnahme einer Berufsausbildung zu schaffen. "Nach erfolgreichem Abschluß des Vorbereitungsjahres ist den Teilnehmern praktisch ein Ausbildungsplatz sicher", schätzt der Leiter des Bereichs Jugend- und Berufsbildung, Mario Jung, die Chancen seiner Schützlinge ein
Vermittelt durch das Arbeitsamt Erfurt befanden sich im zu Ende gegangenen Ausbildungsjahr 110 junge Leute in Berufsvorbereitungsmaßnahmen des Kolpingbildungswerkes, weitere 20 nahmen ausbildungsbegleitende Hilfe in Anspruch. Bei den Maßnahmen des Bildungswerkes ist zwischen den Förderlehrgängen, einem Lehrgang zur Verbesserung beruflicher Bildungs- und Eingliederungschancen (BBE), einem Grundlehrgang, ausbildungsbegleitenden Hilfen und Angeboten wie Berufsberatung und Berwerbungstraining zu unterscheiden
In die ein- bis dreijährigen Förderlehrgänge werden nach Vermittlung durch das Arbeitsamt junge Leute aufgenommen, die wegen ihrer in einer Behinderung begründeten Lernschwäche einer besonderen Förderung bei der Berufsausbildung bedürfen oder durch ihre schwere Behinderung für eine Ausbildung nicht in Betracht kommen, jedoch in einer Behindertenwerkstatt unterfordert wären. Ziel der Förderlehrgänge ist es, "den Jugendlichen zu einer dauerhaften Integration in eine Ausbildung beziehungsweise Arbeit zu verhelfen", so Bereichsleiter Jung. Während des Förderlehrganges besuchen die Teilnehmer die Förderberufsschule und erwerben sich in einem von ihnen selbst ausgewählten Berufsfeld Kenntnisse und praktische Fähigkeiten. Zur Auswahl stehen die Berufsfelder Wirtschaft und Verwaltung, Haar- und Körperpflege, Holztechnik, Farb- und Raumgestaltung, Bau, Gartenbau, Metall, Hauswirtschaft. Außerdem haben die Jugendlichen während des Lehrganges Gelegenheit, den Hauptschulabschluß nachzuholen. Unabhängig davon absolvieren auch die Teilnehmer der anderen Lehrgänge einen wöchentlichen Stützunterricht in den Fächern Deutsch und Mathematik. Ergänzt wird das Ausbildungsangebot durch Fahrten und Freizeitangebote wie Basketball, Floristikkurs und Englisch
Es gibt aber auch junge Leute, die nicht in die Förderlehrgänge aufgenommen werden können. Dazu gehören Jugendliche und junge Erwachsene bis zum Alter von 25 Jahren, die ihre Ausbildung abgebrochen haben oder schon intensiven Kontakt mit der Drogenszene hatten, aber auch Aussiedler und Ausländer, Haftentlassene und anderweitig benachteiligte junge Leute. Sie haben beim Kolpingbildungswerk die Möglichkeit, an einem bis zu 12 Monate dauernden Lehrgang zur Verbesserung ihrer beruflichen Bildungs- und Eingliederungschancen (BBE) teilzunehmen. Auch sie erwerben in einem selbst gewählten Berufsfeld theoretische Kenntnisse und praktische Fähigkeiten, haben wöchentlich zwei Berufsschultage in Trägerschaft des Kolpingbildungswerkes und zusätzlich ebenfalls die Möglichkeit, den Hauptschulabschluß nachzuholen, um ihre Ausbildungschancen zu verbessern
Bereichsleiter Jung: "Wir bieten dieser Personengruppe auch eine intensive individuelle Unterstützung zur Stabilisierung ihrer Persönlichkeit an." Dazu gehören zum Beispiel Hilfen bei der Suche und Einrichtung einer eigenen Wohnung oder Anregungen für die persönliche Freizeitgestaltung. Die jungen Leute werden mit Schulden- und Drogenberatern in Kontakt gebracht. Berufsberater unterstützen jeden Einzelnen bei der Frage nach seiner beruflichen Zukunft. Zu einer Chance kann dabei auch ein außerbetrieblicher Ausbildungsplatz werden. Jung: "Jugendliche, die bei uns die Ausbildungsreife erlangt haben, bekommen in der Regel auch einen Ausbildungsplatz. Kommt für den Einzelnen vorraussichtlich keine Berufsausbildung infrage, vermitteln wir den jungen Leuten fachpraktische und fachtheoretische Grundkenntnisse, die eine gute Voraussetzung für einen Anlerntätigkeit bilden."
Ein anderes Angebot des Kopingbildungswerkes Erfurt richtet sich an Jugendliche während einer betrieblichen Ausbildung. "Jugendlichen, die aufgrund ihrer schulischen Leistungen oder ihrer sozialen Benachteiligung während ihrer Lehrausbildung eine zusätzliche Förderung nötig haben, weil sie sonst keinen Berufsabschluß erreichen, bieten wir einen individuellen fachtheoretischen und -praktischen Stützunterricht an", sagt Mario Jung. "Zudem helfen wir jungen Leuten im Rahmen einer intensiven sozialpädagogischen Betreuung, Lernhemmungen und Prüfungsängste abzubauen, um ihre Chancen zu verbessern."
Neben diesen Fördermaßnahmen bietet das Kolpingbildungswerk jungen Menschen, die zum Beispiel auf Grund ihrer Behinderung nicht in der Lage sind, eine volle Lehre zu absolvieren, dreijährige rehabilitationsspezifische außerbetriebliche Ausbildungen als Zierpflanzengärtner, Gartenlandschaftsbauer und Gartenfachwerker an. Die Teilnehmer erhalten ihre theoretische Ausbildung in einer Berufsschule und erwerben ihre berufspraktischen Kenntnisse und Fähigkeiten beim Kolpingbildungswerk. Mehrfachbehinderte haben die Möglichkeit, in Berufsbildungswerken, wie es das Kolpingwerk zum Beispiel in Hettstedt unterhält, eine Ausbildung zu erwerben
Jugendliche und junge Erwachsene, die an sich die Vo-raussetzungen für eine Berufsausbildung mitbringen, aber von der Berufsberatung nicht vermittelt werden können, oder die sich noch für keinen Beruf entscheiden konnten, erhalten im kommenden Ausbildungsjahr 1998 /99 wieder die Möglichkeit, einen Grundausbildungslehrgang im handwerklich-technischen zu absolvieren. Ein solcher Lehrgang lief bereits vor zwei Jahren schon einmal. "Ziel dieses Angebotes ist es, den jungen Leute zu ermöglichen, eine qualifizierte Ausbildung aufzunehmen und ihrer Motivation für eine berufliche Ausbildung zu festigen. Im Rahmen des Grundlehrganges", so Mario Jung, "haben sie die Möglichkeit, ihrer Berufswahl zu treffen oder zu überprüfen. Teilweise wird den jungen Leuten bei anschließender Aufnahme einer Lehre der einjährige Grundausbildungslehrgang bereits auf die Berufsausbildung angerechnet."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 23.08.1998