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Aus der Region

Leben ist mehr als ein neuer CD-Spieler

Kolpingjugendtag

Blossin - Ein Wort stand groß auf ihren T-Shirts: "Außenseiter". Ganz klein gedruckt darunter: "Spitzenreiter." Viele der fast 400 Teilnehmer des großen Jugendtages der Kolpingjugend in den neuen Bundesländern hatten sich so ein T-Shirt angezogen. Die Dreizehn- bis Zwanzigjährigen trafen sich kürzlich im brandenburgischen Blossin

Das Kolpingwerk, zu dem sie gehören, war schon Mitte des letzten Jahrhunderts gegründet worden, allerdings für wandernde Gesellen. Längst steht der Verein ebenso jungen Leuten offen, die keine Handwerker sind und noch zur Schule gehen. Auch beim Arbeitsamt ist das Kolpingwerk als Bildungsträger keineswegs eine unbekannte Größe. 10 000 Jugendliche und ältere Menschen nehmen in den neuen Bundesländern über das Kolpingwerk an einer Ausbildung teil, gerade wenn sie arbeitslos geworden sind und so gewissermaßen zu "Außenseitern" der Gesellschaft abgestempelt werden

Die Regionalleiterin der ostdeutschen Kolpingjugend, Ingrid Schmidt aus Cottbus, erklärt, was es mit den sogenannten "Außenseitern" von Blossin auf sich hat: "Junge Leute sind manchmal Außenseiter, weil sie nicht so sind, wie das die Erwachsenen von ihnen erwarten. Weil sie Ideen haben und Träume, um die Welt nach ihren Vorstellungen zu verändern. Weil sie sich nicht verstanden fühlen." Ingrid Schmidt versucht zu verstehen: "Ich gebe den Jugendlichen das Gefühl, oder ich versuche es zumindest, sie ernst zu nehmen, für sie da zu sein und sie auch machen zu lassen, zu zeigen, daß es gut ist, daß es sie gibt und daß auch jeder etwas kann. Ich denke, daß ist eine Aufgabe von Kirche, von Christen, rüberzubringen, daß der andere wichtig ist, so wie er ist, daß er nicht nur etwas Schlechtes kann."

Sich ausprobieren zu dürfen und ernst genommen zu werden, das ist es, was junge Leute von 13 bis 20 offenbar reizt, bei Veranstaltungen des Kolpingjugendwerkes dabeizusein. Nicht alle, die kommen, sind in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen. Auch Protestanten und Nichtchristen zeigen Interesse. In der Familie der 20jährigen Sandra aus Leipzig waren Kirche und Glaube kein Thema. Durch Freunde und den Religionsunterricht an der Schule ist sie neugierig auf das Christentum geworden. "Was mich generell am Glauben reizt, das sind zum Beispiel die Gottesdienste. Das ist einfach ein unbeschreibliches Gefühl, wenn man vorher noch geredet hat und emsig war, und dann setzt man sich zusammen. Man kann eigentlich von einer Minute auf die andere in sich hineinschauen. Es kommt natürlich darauf an, wer die Predigt hält. Es ist einfach ein ganz tolles Gefühl von Zusammengehörigkeit."

Was sowohl Sandra als auch der 18jährige Markus aus dem Eichsfeld an Kirche als angenehm empfinden, ist das Gemeinschaftserlebnis: "Wenn ich so von zu Hause ausgehe, da gibt es diese großen Tage. Und da wird kräftig bei uns gesungen. Das ist so, als ob man Gänsehaut kriegen würde."

Gilbert Then gehörte schon lange vor der Wende 1989 zur Kolpingjugend. Jetzt ist er Jugendreferent beim Kolpingwerk in Deutschland. Ob in den 80er Jahren oder heute, nach wie vor versucht er zu vermitteln, "daß die Begegnung mit den anderen Menschen mehr wert ist, als ein neuer CD-Player. Ich denke, das können junge Leute in der Gemeinschaft, im Jugendverband erfahren."

Wenn Jugendliche zur Kirche oder zu Gilbert Then in die christlichea Jugendgruppe kommen, dann meist nicht, weil ein Plakat oder ein Video sie darauf aufmerksam gemacht hat. Die meisten zeigen erst Interesse nach einem ganz persönlichen Gespräch. Viele fragen nach Werten, suchen Orientierung. Für die 16jährige Savéria aus Leipzig sind wichtige christliche Werte zum Beispiel: "Du darfst nicht lügen. Und vor allen Dingen Toleranz gegenüber anderen, die anders handeln, die anders sind. Jeder Mensch ist irgendwie anders in seiner Art."

Toleranz hat mit Kennenlernen zu tun. Deshalb bringt das Kolpingwerk junge Leute aus verschiedenen Bundesländern zusammen. Auch zum Ausland gibt es Kontakte. Das Kolpingwerk Ost hat gute Beziehungen zu Jugendgruppen aus Polen, Rumänien und der Tschechischen Republik. Einige Delegierte waren beim Treffen in Blossin dabei. Sie nahmen an Workshops teil, wie: "Einmischen statt wegschauen? Zivilcourage." Oder: "Arbeitslos und trotzdem eine Zukunftschance." Sie konnten sich ausprobieren, sei es beim Klettern, beim Schwarzen Theater oder auch im Intenet. Sie machten Erfahrungen beim Surfen, diskutierten über den Sinn von Familie oder bastelten Tuchpuppen, die zwei Gesichter haben: Außenseiter und Spitzenreiter

Aus einigen sogenannten "Außenseitern" in Blossin sind regelrechte Spitzenreiter geworden. Sie haben in familienhafter Gemeinschaft in einem kleinen Ort bei Leipzig viel geprobt und schließlich speziell für den ersten regionalen Kolpingjugendtag in Blossin eine CD produziert. Den Verkaufserlös wollen sie jungen Leuten in Brasilien spenden. Auch dorthin hat die Kolpingjungend Kontakte. Sie will vermitteln, wie es Gilbert Then sagt, "über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen."

Regina Villavicencio

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 35 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 30.08.1998

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