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Aus der Region

Pflichtblatt für mündige Katholiken

Pfarrer wirbt

Seit Februar 1997 werden in der Pfarrgemeinde Wittichenau (Bistum Görlitz) die Kirchenzeitungen Tag des Herrn nicht mehr über die Post oder mit den entsprechenden Tageszeitungen zugestellt, sondern von fast 20 Mädchen und Jungen, Jugendlichen und Erwachsenen in der Stadt und den Dörfern ins Haus gebracht. Pfarrer Christoph Bockisch über dieses Engagement:

Es sind immerhin 250 Exemplare, die ein Paketdienst jeden Donnerstag gegen Mittag ins Pfarrhaus bringt. Eine Frau aus der Kolpingfamilie, die die Verbindung mit Verlag und Redaktion hält, aber auch selbst mit austrägt, verteilt die Zeitungen in die Mappen. Spätestens am Sonnabendmittag hat jeder Bezieher seinen Tag des Herrn im Haus. Mit Kassieren hat keiner etwas zu tun, das läuft nach wie vor mit Einzugsermächtigung. Zu Monatsbeginn gibt es ein kleines "Dankeschön" pro E- xemplar. Wem es zusätzlich gelingt, einen neuen Abonnementen zu werben, bekommt keine Bohrmaschine oder ein Kochtopfset, sondern Geld

Es ist schon eine verantwortungsvolle Sache, Woche für Woche, bei Badewetter und bestem Fernsehprogramm, in der Schulzeit und in den Ferien, diesen Dienst zu tun. Manchmal muß die Oma mit ran oder die kleine Schwester, auch das funktioniert

Was könnte den Pfarrer einer solch großen Gemeinde mit 4500 Katholiken dazu motivieren, diese Aktion zu betreiben? Die Verbundenheit eines früheren Geschäftsführers (Pfarrer Bockisch war von 1983 bis 1990 Geistlicher Geschäftsführer und Cheflektor des St. Benno-Verlages, Anm. d. Red.) mit seinen früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Verlag und in der Redaktion kann es nicht sein! Mehr Platz für das Bistum Görlitz oder gar für Wittichenau zu erkämpfen, kann auch nicht der Sinn sein. Dem Wittichenauer genügt sein lokales Wochenblatt und die zehn Minuten Vermeldungen am Ende der Messe, die regionalen Tageszeitungen (vormals Bezirksorgane der SED) bringen ab und zu auch Christliches ("Was bedeutet für Sie Fastenzeit?" - "Nach der Kirche gings zur Party" - "Pfarrer weiht neuen Polizeiposten")

Der Pfarrer als Leiter einer Zeitungsagentur? Hat er nichts Besseres zu tun? Da die Zeitungen in konkrete einzelne Häuser gebracht werden müssen, weiß er darum, wer die kirchliche Presse bezieht und wer nicht. Er weiß um die Altersstruktur der Bezieher und die Probleme, die die Glieder der Gemeinde in einer Region belasten, in der bald jeder Dritte arbeitslos ist oder bald sein wird. Am Sonntag haben meine Mitbrüder und ich zehn Minuten Predigtzeit pro Gottesdienst, die 1500 Hausbesuche mit Segnung der Häuser am Jahresbeginn reißen auch manches Thema an, ein Bildungsabend bei Kolping, ein Seniorenvormittag, Einzelgespräche, eine interessante Fernsehsendung kurz vor Mitternacht - alles schön und gut. Aber ich habe die Sorge, daß sich christlicher Glaube immer mehr verdünnt. Er hat einen unverwechselbaren Inhalt. Ich brauche deshalb Glaubens-Information, die mehr ist als eine Sammlung von Fakten und Sätzen

Zu jeder Zeit meines Lebens als Christ muß ich mich mühen, in die rechte Form zu kommen. Woher kommen die Maßstäbe? Würde Jesus zu allem "Ja und Amen" sagen, was "man/frau" heute macht? Um wen würde er sich besonders kümmern, wäre er heute mit seinen Jüngern auf unseren Straßen unterwegs? "Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt, aber antwortet bescheiden und ehrfürchtig ..." rät schon der erste Petrusbrief den angefochtenen Christen der jungen Kirche ( 1 Petr 3,15f). Kann ich der jungen Generation Rede und Antwort stehen, wenn mein Wissen auf dem Stand der 8. Klasse im Jahre 1970 stehengeblieben ist

Medien sind für diese Aufgabe hilfreich. Dabei sind auch im Zeitalter der unzähligen Fernsehkanäle die gedruckten (und bereits im Internet abrufbaren) Medien unverzichtbar. Eine Zeitung kann ich ein zweites Mal lesen, um mich mit einem Beitrag auseinanderzusetzen. Der 30-Sekunden-Schwachsinn in einem Fernsehmagazin reicht höchstens dafür aus, gegebenenfalls mitreden zu können, wenn am Stammtisch über den Milliardenreichtum der Kirchen in Deutschland geredet wird

Bertolt Brecht hat einmal eine bemerkenswerte Aufforderung formuliert. "Scheue dich nicht zu fragen, Genosse, laß dir nichts einreden, sieh selber nach! Was du nicht sicher weißt, weißt du nicht. Prüfe die Rechnung, du mußt sie bezahlen, lege den Finger auf jeden Posten, frage: Wie kommt er hierher? Du mußt die Führung übernehmen!" Deshalb bin ich dafür, daß der wache Christ eine gute, handwerklich sauber fabrizierte kirchliche Zeitung regelmäßig liest, zum Beispiel den Tag des Herrn

Der Tag des Herrn hat den Vorteil, daß er zu einem großen Teil von Menschen gemacht wird, die um die speziellen Probleme des Christseins hier und heute wissen, aber uns auch einladen, die Fragen der Zeit im Lichte des Evangeliums zu sehen, zu diskutieren und sich einen eigenen Standpunkt zu erarbeiten, zu finden. Ich muß dieses Blatt nicht wie früher eine durchgeschmuggelte Westzeitung "auslesen"! Ich kaufe ja auch nicht den gesamten Fleischstand auf, wenn ich Appetit auf 50 Gramm geräucherte Leberwurst habe. Aus dem reichhaltigen Angebot wähle ich bewußt aus

Wer regelmäßig das Blatt in die Hand nimmt (das ist der Hauptzweck eines Abonnements!), findet bald das für ihn Wichtige an den vertrauten Stellen. Er muß dem Blatt auch nicht alles abkaufen. Es gibt Fehler, Verkürzungen und Verzerrungen, weil es von Menschen mit ihren Sichten und Einsichten gemacht wird oder weil einfach die Zeit drängt und ein Redakteur Grippe hat. Und der Computer ist auch nur ein Mensch

Im Impressum meiner Tageszeitung steht noch vor dem Namen der Verleger, Herausgeber und der anderen Chefs "Pflichtblatt der ...Wertpapierbörse". Vielleicht könnte es im Impressum vom Tag des Herrn heißen "Pflichtblatt für mündige Katholiken in der Diaspora"? Aber das wäre nun wirklich wettbewerbsschädigend!

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 37 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 13.09.1998

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