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Aus der Region

Nicht verstaubt und altmodisch

Theodor Fontane

Was für ein vielseitiger Dichter Theodor Fontane war, wird immer deutlicher. Er ist bekannt und berühmt für seine "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" (1861/81). Seine fast 20 Romane und Erzählungen, in deren Mittelpunkt oft unvergeßliche Frauengestalten stehen, werden viel gelesen, allen voran "Effi Briest" (1895). Früher waren auch seine Balladen wie "Archibald Douglas", "John Maynard" oder "Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland" verbreitet. Nun erfahren wir durch eine Ausstellung in Berlin, daß er viel von bildender Kunst verstand und auch darüber schreiben konnte. Er hat Theater- und Buchkritiken verfaßt. Kriegsberichte - aus Schleswig-Holstein und Frankreich - und Schilderungen schottischer Landschaften. Soeben ist der Briefwechsel mit seiner Frau erschienen: Er liest sich wie ein Roman. Und Emilie, die häufig für kleinlich und verständnislos gehalten wurde, erweist sich nicht nur als unverzichtbare Hilfe bei der Arbeit ihres Mannes, sondern als eigenständige, feinsinnige Persönlichkeit. Bei allem hält Fontane nichts von großen Worten und Gesten. Einer seiner schönsten Gestalten, dem alten Baron Dubslav von Stechlin, legt er folgenden Satz in den Mund, der auch für Fontane selbst gilt: "Renommieren ist ein elendes Handwerk."

Theodor Fontane ist ein nüchterner, dabei begeisterungsfähiger, anteilnehmender und Partei ergreifender Dichter. Er verschweigt seine Liebe zum preußischen Adel nicht und nicht seinen Schmerz über dessen Niedergang. Er sieht, wie die Menschen zwischen überkommenen Moralvorstellungen und der Wirklichkeit ihres Lebens zerrieben werden. Die Vertreter des Bürgertums in Fontanes Romanen haben noch keine Moral entwickelt. Die ständischen Ordnungen des Adels passen nicht mehr, das Christentum wird kaum ernst genommen, und so scheint Besitzanhäufen, "Raffen", das einzige Ziel ihres Lebens zu werden

In den Vertretern des sogenannten "kleinen Standes", den Dienstmädchen, Bediensteten und kleinen Handwerkern, erkennt Fontane viel Natürlichkeit, Hilfsbereitschaft und seelische Größe. Aber er zweifelt daran, daß sie als gesellschaftliche Kraft die Lebensverhältnisse zum Besseren wenden können. So mißt der Dichter der Anständigkeit eines einzelnen Menschen, der Mitmenschlichkeit, große Bedeutung bei. Nicht wohltönende Phrasen und moralische Starheit, nicht Rechthaberei oder Reichtum helfen den Menschen, sondern natürliche Hilfsbereitschaft, Verzeihen und Verläßlichkeit. Um noch einmal aus dem "Stechlin" zu zitieren, diesmal Pastor Lorenzen: Das wahre Heldentum "ist nicht auf dem Schlachtfeld zu Hause, das hat keine Zeugen ... Das vollzieht sich stumm, einsam, weltabgewandt."

Fontane selbst war kein weltabgewandter Mensch. Er hat fast sein ganzes Leben lang mit Geldsorgen zurechtkommen müssen. Er hat, um die Familie zu ernähren, Staatsdienste angenommen und für konservative Zeitungen geschrieben, was ihm beides nicht lag. Er hat sich als Theaterkritiker für die Naturalisten eingesetzt und sich damit den Unwillen des Kaisers zugezogen. Fontane war auch hier, bei aller Festigkeit im Urteil, nie selbstgerecht oder pathetisch

Diese Lebens- und Schreibhaltung hat dazu geführt, daß Fontane nicht verstaubt oder altmodisch wirkt, sondern immer noch mit Anteilnahme, Freude, Spannung und Interesse gelesen wird.

Jürgen Israel

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 38 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 20.09.1998

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