Zuwenig Förderplätze für Behinderte
Probleme
Neuzelle (mel) - Auf Probleme bei der Förderung geistig Behinderter hat die Leiterin der Behindertenschule des Neuzeller St. Florian-Stiftes, Angelika Karmelski, hingewiesen. Bei einer Einweihungsfeier zum Abschluß von Bauarbeiten in der Behinderteneinrichtung sagte Frau Karmelski: "Während ihrer Schulausbildung machen Behinderte teilweise erhebliche Fortschritte. Werden diese Fähigkeiten jedoch nach Schulabschluß nicht ständig weiter gefördert und gefordert, verfallen die Behinderten leicht in Apathie - und alle ihre bisherigen Bemühungen waren umsonst!"
Laut Gesetz hat jeder Behinderte das Recht, nach Beendigung seiner Schulausbildung in einer Werkstatt für Behinderte zu arbeiten. "Dazu muß er bestimmte Anforderungen erfüllen, beispielsweise den gesamten Herstellungsprozeß eines Produktes absolvieren können", sagt Frau Karmelski
Ist ein Behinderter dazu nicht in der Lage, so hat er gesetzlichen Anspruch auf einen Platz in einem "Förder- und Beschäftigungsbereich". Dort kommt es darauf an, den Behinderten zu helfen, ihre vorhandenen Fähigkeiten zu optimieren und ihnen eine sinnvolle Aufgabe zu geben. "Für geistig Behinderte ist es ausgesprochen wichtig, das Gelernte immer wieder praktisch anzuwenden", so die Schulleiterin. "Ansonsten geht das mühsam erworbene Wissen bald wieder verloren. Auch für das Selbstvertrauen und die Selbstachtung ist es von großer Bedeutung, aus eigener Kraft etwas zu schaffen und zu spüren, daß man etwas leisten kann." Oft jedoch müssen die werkstattuntauglichen Schulabgänger lange Zeit auf einen Platz in einer Fördergruppe warten. Grund: Es gibt in den Behinderteneinrichtungen zu wenig Fördergruppen
Zum Beispiel Andreas M.: Er ist schwer mehrfachbehindert. Andreas kam im Alter von vier Jahren nach Neuzelle. Seit Gründung der Schule des St. Florian-Stiftes im Jahr 1992 hat der junge Mann in seiner Klasse viel gelernt. Bei Beendigung der Schulzeit war er 23 Jahre alt
"Für Andreas war klar, daß er den Ansprüchen einer Werkstatt nicht genügen kann", sagt Frau Karmelski. "So stand eine Aufnahme in den Förderbereich an. Hier allerdings war kein Platz frei. Um seine mühsam erworbenen Fähigkeiten nicht zu verlieren, ging Andreas weiterhin zur Schule." Da das Gesetz jedoch eine finanzielle Förderung der Schulausbildung geistig Behinderter höchstens bis zu deren 24. Lebensjahr vorsieht, mußte die Schule die Kosten übernehmen. Andreas erhielt lediglich Sozialhilfe. "Die Finanzen einer Behindertenschule jedoch reichen nicht aus, um solche Unterstützung auf Dauer gewähren zu können", so Frau Karmelski. "Andreas ist kein Einzelfall."
Angesichts dieser Gesetzeslage gerät nicht nur ein Behinderter in Bedrängnis, aus der er sich selbst nicht befreien kann - auch den Pädagogen und Betreuern sind die Hände gebunden. Frau Karmelski: "Wir bemühen uns ständig bei den verantwortlichen Stellen um eine Lösung des Problems, doch unsere wenigen Stimmen werden nicht so leicht gehört. Das Bewußtsein für derartige Probleme ist in der Bevölkerung kaum vorhanden. Also wird sich einstweilen an der Situation nichts ändern."
Abhilfe können nur besser ausgestattete Behinderteneinrichtungen schaffen. Da geistig Behinderte nicht selbst ihr Recht einfordern können, bedarf es mehr engagierter Menschen, die dies für die Behinderten tun
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 27.09.1998