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Aus der Region

Von Brücken und Gräben: Zum Tag der deutschen Einheit

Leser-Aktion

Acht Jahre deutsche Einheit - welche Erfahrungen haben Christen im geeinten Land gemacht?
Die Mauer in den Köpfen: Gibt es sie noch - oder wieder?
Leser schrieben dazu ihre Meinung.
Wir veröffentlichen Auszüge.

Wenn auch Sie Ihre Meinung einbringen wollen, schreiben Sie an webmaster@st-benno.de

Behüt´ dich Gott

So Gott will, feiern wir im nächsten Jahr unsere Goldene Hochzeit. Diese drei Worte begleiteten uns in guten und schlechten Zeiten, von ihnen ging eine Kraft aus, die mir half, Widerstände und Angriffe, denen ich als katholischer Lehrer in der DDR ausgesetzt war, zu überwinden. Angefangen hatte es schon in den fünfziger Jahren, als ich vom Fernstudium exmatrikuliert wurde ­ ich konnte den Ratschlägen meiner Studienkollegen, mit den Wölfen zu heulen und nicht gegen den Strom zu schwimmen, nicht folgen. Mein "Fehler" war, daß ich nicht tatenlos zuhören konnte, wenn Lügen und Unwahrheiten über Religion und Kirche verbreitet wurden. So wollte zum Beispiel ein Dozent die Frauenfeindlichkeit der Kirche mit dem Inhalt des 10. Gebotes beweisen, dort würden Frauen und Tiere auf eine Stufe gestellt. Auf meine Frage, weshalb es dann in unserer Kirche weibliche Heilige gebe, ganz zu schweigen von der Marienverehrung, blieb er die Antwort schuldig. Diese und viele andere "Berichtigungen" waren dann der Anlaß zu obiger Maßnahme. Dadurch blieben mir andere Hochschulen verschlossen. Über die erste und zweite Lehrerprüfung begann dann mein Lehrerdasein, allerdings mit fünfzig Mark weniger Monatsgehalt. In den sechziger Jahren begann dann die Zeit der Schikanen, ich mußte mich ständigen Angriffen erwehren. Anlässe dazu hatten meine "Vorgesetzten" am laufenden Band ­ unsere Kinder gingen nicht zur Jugendweihe, ich kritisierte Maßnahmen, auch solche, die von staatlichen Stellen kamen, die einer idealistischen Weltanschauung widersprachen. Kein Wunder, daß ich oft mit Bangen und gemischten Gefühlen morgens zum Dienst ging ­ aber da waren die "berühmten drei Worte", die meine Frau jeden Morgen sprach, bevor sie mir am Fenster nachschaute: "Behüt dich Gott" ­ das gab mir Kraft für den ganzen Tag. Eine große Hilfe in dieser schweren Zeit waren mir die Zusammenkünfte katholischer Lehrer, die von Pfarrer Dr. Franz-Peter Sonntag in den sechziger Jahren ins Leben gerufen wurden. Jeweils in den Frühjahrs- und Herbstferien trafen wir uns bei den Schwestern in Nauendorf. Neben neuem pädagogischen Wissen, welches westdeutsche Dozenten vermittelten, waren es die Gespräche mit "Leidensgenossen", die diese Treffen so wertvoll machten. Wir berichteten von unseren Sorgen und Nöten und tauschten unsere diesbezüglichen Erfahrungen aus. So mancher Kollege wußte einen guten Rat, wie man sich in bestimmten Situationen zur Wehr setzen konnte. Die drei berühmten Worte haben auch heute nicht an Bedeutung verloren. Trete ich mal allein eine kurze Fahrt an, wünscht mir meine Frau "Behüt dich Gott".
Hans Roßkamp, Bad Wilsnack


Kontakte suchen

Ganz gleich, ob Sie die Frage nach den Erfahrungen der Christen (allgemein) oder nach der Mauer in den Köpfen der Katholiken im geeinten Land stellen, in jedem Fall bleibt festzustellen, daß wir uns vermutlich alle sowohl die sozialen und wirtschaftlichen als auch die menschlichen Probleme einfacher vorgestellt haben. Wo aber die menschlichen Begegnungen fehlen, da erscheinen auch die anderen Schwierigkeiten in einem düstereren Licht. Darum plädiere ich dafür: Fahren Sie zu den Menschen in den neuen Bundesländern, planen Sie Ihren Urlaub dort, wo es eine Fülle von geschichtlichen, kulturellen und landschaftlichen Eindrücken zu entdecken gibt. Und dabei werden Sie, wie wir in mehreren Urlaubsaufenthalten in den neuen Ländern erfahren haben, auch vielerlei Begegnungen mit den Menschen finden, in denen Sorgen und Nöte, aber auch Freude und Glücksgefühle zur Sprache kommen. Und das hilft, "Mauern" abzubauen und Verständnis füreinander zu gewinnen.
Josef von der Haar, Bersenbrück


Nicht vergessen

Die Mauer darf nicht vergessen werden, denn Deutsche dürfen nie mehr voneinander getrennt werden. Mit meinem Mann, einem gebürtiger Eichsfelder, bin ich das erste Mal 1974 in die "Ostzone" gereist. Grauslich, wenn ich daran denke, wie wir durchsucht wurden: aussteigen, Rückbank weg, Kofferraum auf. Wie Kriminelle oder zumindest wie Schmuggler kamen wir uns vor. Allerdings haben wir später "geschmuggelt": Im Herbst Kleidung für den Winter, da wir angeblich dort froren. Die Kleidung sollte natürlich dort bleiben. Ein theologisches Buch für unseren Neffen (Priester). Es war zweimal von der Post zurückgesandt worden. Ich weiß nicht, wie viele Seiten der Grenzbeamte gelesen hat, bis er uns das Buch wiedergab. So erlebnisreich es auch immer war, mit der großen Familie meines Mannes zusammen zu sein, so waren wir doch immer froh, wenn wir auf der Rückreise aus dem großen "Gefängnis Ostzone" den deutschen Zoll erreichten. Wir haben acht Jahre deutsche Einheit, und warum wird jetzt immer noch vom Osten gesprochen? Es gibt das Eichsfeld, Pommern, Sachsen... Wir sind alle Deutsche.
Hannelore Werner, Hamburg


Partnerschaft

Schon vor der Wende pflegten wir von der Kolpingfamilie St Barbara Barsinghausen Kontakte zu der Kolpingfamilie in Pirna (Sachsen). Nach der Wiedervereinigung ist diese Partnerschaft durch jährlich wechselnde Besuche und viele persönlichen Beziehungen vertieft worden. Wir treffen uns immer am Tag der Deutschen Einheit in der jeweiligen Partnerstadt. Die Mauer in den Köpfen hat es so nie gegeben, trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten, die lebhaft diskutiert wurden. Wie positiv das Zusammenwachsen gediehen ist, zeigt sich in der gemeinsamen Unterstützung und Altkleidersammlung für eine Gemeinde in Sao Paulo, Brasilien.
Hubert Spitzer, Barsinghausen


Falsches Bild

Es liegt an jedem von uns selbst, ob Mauern in den Köpfen entstehen oder nicht. Ausschlaggebend ist, von welchem Blickwinkel man das betrachtet. Sieht man Begegnungen unter dem Geist Gottes, dann sind unvoreingenommene Gespräche, Begegnungen, Gedankenaustausch, gemeinsames Handeln und Brücken des guten Verstehens untereinander möglich. Seit der politischen Wende arbeite ich in einem gesamtdeutschen katholischen Verband (Verband der Katholischen Gehörlosen Deutschlands) als Vorstandsmitglied und seit dem vergangenem Jahr als Vorstandsvorsitzender mit. Am Anfang war es nicht leicht. Man kam sich vor, als wenn man in zwei unterschiedlichen Welten unterwegs ist, weil wir hier anders als im Westen gelebt haben und auch nichts anderes kannten. Es gab viele Vorurteile. In gemeinsamen Begegnungen und Gesprächen kamen wir uns im Laufe der Zeit immer näher. Heute sind wir wie eine Familie geworden, wo einer den anderen annimmt und akzeptiert. Wir Gehörlosen besuchten einander zu den verschiedenen Gehörlosengottesdiensten in Ost und West, gingen gemeinsam auf Wallfahrten im Bistum Erfurt und in anderen Bistümern. Wir organisierten Urlaubswochen für Gehörlose im Eichsfeld, besichtigten das Grenzmuseum, Städte und Wallfahrtsorte. Wenn wir heute viele Einladungen bekommen zu gemeinsamen Wallfahrten und Vereinsjubiläen, dann zeigt es sich, daß wir wie eine große Familie geworden sind. Von Mauern in den Köpfen ist jedenfalls bei den Gehörlosen und Hörgeschädigten in West und Ost nichts zu spüren. Es macht Spaß und große Freude, füreinander da zu sein.
Alfons Rogge, Niederorschel

Wie lange noch?

So lange in unserer Kirchenzeitung noch vom "Ossi" die Rede ist, so lange in einer Kirchendruckschrift über den heiligen Antonius vier Jahre nach der "Wiedervereinigung" nicht eine einzige der 19 Antoniuskirchen und -kapellen der neuen Bundesländer erwähnt wird, so lange noch die Meinung geäußert wird, ohne WC's mit Grohe-Spülung in den Gemeindehäusern sei ein Gemeindeleben nicht möglich, so lange wir nicht alle aufeinander zugehen (nur ein persönliches Gespräch kann gegenseitige Vorurteile abbauen), so lange von den Künstlern und anderen Prominenten, bis auf einige Ausnahmen, an der ehemaligen Grenze "Halt" gemacht wird, so lange in einem deutsch-deutschen Team der Altbundesdeutsche über 1000 DM mehr erhält, so lange auch in der Kirche Gottes ähnlich verfahren wird, werden wir wohl auf die Einheit leider noch etwas warten müssen.
Hans-Joachim Grune, Großräschen


Dankesfeier

"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist", sagt eine jüdische Weisheit. Als die SED-Machthaber im Frühjahr 1973 das bis dahin in ganz Deutschland geltende Autokennzeichen "D" in ihrem Herrschaftsbereich verboten haben und ein eigenes Kennzeichen "DDR" einführten, habe ich, damals Theologiestudent in Erfurt, mir schnell noch ein nagelneues Kennzeichen "D" aus einem Erfurter Kfz-Geschäft besorgt, um es aufzuheben für "bessere Zeiten". Ein Kennzeichen "DDR" hat niemals ein Fahrzeug von mir "geziert", und das "D" (made in GDR) konnte ich nach dem 3. Oktober 1990 wieder hervorholen. "Wer diese Nacht verschläft, ist ein historischer Penner", tönte Norbert Blüm noch am Mittag des 2. Oktober 1990 mit seiner unverwechselbaren Nasalstimme. Also machte ich mich am Nachmittag desselben Tages auf nach
(Ost-)Berlin, um mit Bekannten aus Marzahn die Nacht der deutschen Wiedervereinigung vor dem Reichtagsgebäude live mitzuerleben. Den ersten Jahrestag der Deutschen Einheit konnte ich dank der gewonnenen Reisefreiheit in Rom erleben, und seit 1995 treffen sich jeweils am 3. Oktober Pilgergruppen, die zuvor im Ausland (Santiago, Fatima, Israel ...) unterwegs waren, in der Gemeinde eines Mitbruders, der am Tag der Deutschen Einheit stets eine festliche Messe zelebriert. Das "Wunder" der staatlichen Wiedervereinigung, ein "unerhörter Glücksfall der Geschichte" (Roman Herzog), ist trotz der aktuellen Schwierigkeiten im Prozeß des Zusammenwachsens der Deutschen eine jährliche Dankesfeier (Eucharistie) wert.
Hans-Josef Riethmüller, Bleicherode


Glaubenskraft

Im Jahre 1990 besuchte ich zum ersten Mal langjährige Brieffreunde in Bad Düben/Mulde, wo fast zufällig ein Kontakt zur Pfarrgemeinde "Heilige Familie" entstand. Uns verband sofort die gemeinsame Zugehörigkeit zum damals noch ungeteilten Erzbistum Paderborn. Mit großem Interesse haben wir aus dem Westen von den Glaubenserfahrungen unserer Mitchristen in der doppelten Diaspora gehört und waren voll Bewunderung über die Glaubenskraft, die trotz aller Schwierigkeiten die Botschaft Christi über die DDR gerettet hat. Anläßlich eines Kirchweihjubiläums in Bad Düben erfuhren wir, was Katholizität auch im Kleinen bedeutet: Aus verschiedenen Gemeinden Westdeutschlands, mit denen freundschaftliche Kontakte bestanden, kamen die Katholiken, um mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern in der sächsischen Diaspora die heilige Messe zu feiern, Gott zu danken und sich fröhlich zu begegnen. Leider sind die räumlichen Entfernungen zwischen unseren Gemeinden sehr groß, so daß es kaum für einen spontanen Wochenendtrip reicht. Und die Menschen in den neuen Ländern sind immer noch sehr stark mit der Auseinandersetzung mit der neuen, oft recht unsanften Wirklichkeit beschäftigt, so daß sie wenig Zeit und Muße haben, die Mühen einer langen Westreise auf sich zu nehmen. Dennoch: Wir wissen nun mehr voneinander, wir leben als Katholiken miteinander, wir beten füreinander. Und für mich als Diakon ist es immer eine große Freude, wenn ich bei einem Besuch in Bad Düben in der Gemeinde meinen Dienst tun darf.
Peter Trotier, Iserlohn-Letmathe


Chorkontakte

Viele Menschen in Ostdeutschland haben keine Arbeit, sind depressiv und leiden unter Angstsyndromen. Sie ziehen sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Das können auch die Kirchen nicht verhindern. Die Christen sind eine Minderheit geworden. Für die meisten der noch aktiven Christen im Osten besteht die Aktivität lediglich im Gottesdienstbesuch, vielmals fehlen andere Möglichkeiten der christlichen Gemeinsamkeit. In unserer evangelischen Kirchengemeinde gibt es in diesen Nachwendejahren einmal jährlich einen "Chorkontakt mit Hamburg Schnelsen". Und ökumenisch beginnt ein kleines Pflänzchen zu wachsen. Seit zwei Jahren feiern wir einmal im Jahr einen gemeinsamen Gottesdienst im "Festzelt beim Dorffest", und einmal im Jahr findet ein gemeinsamer Jugendkreuzweg statt. Nach meiner Meinung verschwindend wenig.
Evelyn Benhaouche-Brenner, Matgendorf


Übel an der Wurzel

Oberflächlich gesehen, ist die Mauer in den Köpfen der Ost- und Westdeutschen im Laufe der vergangenen acht Jahre mehr und mehr abgetragen worden. Aber in den tieferen Schichten der Menschen tritt eine Zwiespältigkeit und Unzufriedenheit zutage, an der meines Erachtens alle Deutschen in gleicher Weise kranken. Bei Paulus heißt es im Römerbrief unter anderem: "... Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will" (Röm 7,19ff). Nur Christus kann uns von diesem inneren "Un-eins-Sein" erlösen. Eine Heilung in der Wurzel wäre meines Erachtens die Voraussetzung für den Frieden in den Familien, den Gemeinden und Gruppierungen als den kleinsten Zellen der Gesellschaft.
Doris Otto, Leipzig

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 40 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 04.10.1998

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