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Bistum Dresden-Meißen

Kinderoase in grauer Satellitenstadt

Ökologischer Kindergarten Gera

Gera (mel) - Gera-Lusan: Neubaugebiet für 40 000 Einwohner. Eine Wüste aus Plattenbauten. Grau, wohin das Auge blickt. Dann plötzlich: Grün, Rot, Gelb, Braun. Eine Oase am Rande dieser Ödnis. Mitten in einem grünen Gelände ein schneckenhausförmiges Lehmhaus - Kindertagesstätte für 60 ein- bis zehnjährige Kinder dieses Stadtviertels. Eigentümer und Träger ist die katholische Gemeinde "Heiliger Maximilian Kolbe"

Zentraler Gedanke des gesamten Projektes ist der verantwortungsvolle Umgang mit der Schöpfung. "Das Bauwerk selbst nimmt Natur weg, das Gründach soll einen Teil zurückgeben" heißt es im Baukonzept von Architektin Maria Hoffmann

Der Kindergarten in Gera-Lusan hatte schon seit einigen Jahren einen Umbau dringend nötig. Eine Sanierung des Plattenbaus wäre sehr teuer und auch mit großem Aufwand nicht kindgerecht geworden. Das Gebäude gehört der Stadt Gera. So entschieden Bischof Joachim Reinelt und die katholische Gemeinde, auf dem Pfarrgebiet einen ganz neuen Kindergarten zu bauen. Er sollte kind- und umweltgerecht angelegt sein. Für alle, die unter der Tristesse ihrer Lebensbedingungen leiden, soll er ein Symbol der Hoffnung sein

Baubeginn war im Juni 1997. Architektin Maria Hoffmann übernahm die Gestaltung des Grundstückes und die Bauleitung. Sie ist Musikpädagogin und arbeitete über Jahre hinweg in der Kinderpastoral. Durch die Erziehung ihrer eigenen fünf Kinder weiß sie um die Bedürfnisse und Wünsche der Mädchen und Jungen. Diese Erkenntnisse sind mit viel Phantasie in die Gestaltung der Kindertagesstätte eingegangen

Finanziert wurde das Projekt durch das Thüringer Ministerium für Soziales und Gesundheit, das Bistum Dresden-Meißen und die Gemeinde, die ihren Anteil vor allem durch viel Eigenleistung einbringt

"Der Entwurf für den Grundriß des Hauses ist einem Meerestier nachempfunden, einem nautilus pompilius oder wie es frei übersetzt heißt: einem "Perlboot". Wie sich dieses Schalentier in sein Gehäuse zurückzieht, um in sich zu ruhen, und sich anschließend wieder seiner Umgebung öffnet, so soll auch das neue Gebäude den Kindern entsprechende Möglichkeiten bieten", sagt Architektin Maria Hoffmann

Zentrum des Hauses ist das Atrium, ein Innenraum völlig aus Glas und nach oben hin offen. Die Erscheinungen der Natur wie Tag und Nacht, Nebel, Tau und Sonnenschein können direkt in der das Atrium umgegebende Halle miterlebt werden. Die Halle selbst ist ein runder Raum, der wie ein Marktplatz gestaltet ist: Kleine Stände - Spielplatz, Begegnungsstätte und Garderobe zugleich - sind um einen Springbrunnen angeordnet. Das Wasser als wichtigstes, lebenspendendes Element kehrt in der Kindertagesstätte ständig wieder: in jedem der drei Gruppenräume als Wasserstelle, noch einmal als große Quelle im Bastel- und Meditationsbereich im Kellergeschoß, aber auch im Freien in Form von Biotopen, einer Zisterne oder als Regen. Die Wasserstellen begleiten den Tageslauf mit ihrer Ausstrahlung von Kraft und Ruhe

Mittelpunkt der Gruppenbereiche ist die Küche miat einem Backofen und einem geschlossenen Kamin. "Das ,Mahl-halten-dürfen' soll als Geschenk begriffen werden", sagt Architektin Hoffmann. "Jedes Kind soll deshalb von Zeit zu Zeit bewußt Speisen zubereiten, um die unmittelbare Beziehung zur Natur zu erfassen."

Die Spielräume sind vertikal in einen Fußboden- und einen Emporenbereich unterteilt. Das macht es möglich, begonnene Spiele nicht unterbrechen und halbfertige Buden nicht abbauen zu müssen, da die Schlafplätze auf der Empore - wie auf einem Hochbett - eingerichtet werden. Für ausreichende Schutzmaßnahmen ist überall gesorgt. Da kein Zwang zu einem Mittagsschlaf bestehen soll, haben die Kinder so die Möglichkeit, sich während dieser Zeit ruhig und sinnvoll zu beschäftigen

Jeder Gruppenraum hat große Glastüren, durch welche die natürliche Umgebung jederzeit wahrgenommen werden kann. ",Draußen' und ,drinnen' fließen ineinander", sagt die Architektin. Die Türen sind leicht zu öffnen, Spiele können sich so auch ins Freie ausdehnen. Für die Schulkinder sind Räume zum Erledigen der Hausaufgaben vorhanden

Im Kellerbereich stehen viele Werkräume zur Verfügung. Hier werden nur natürliche Rohstoffe benutzt, die dem Kreislauf des Lebens nicht entgegenstehen. Der Werkbereich ist auch für die Nutzung durch ältere Schüler und Eltern gedacht. Auch der Meditationsbereich ist hier untergebracht

Viel Zeit sollen die Kinder nach den Vorstellungen der Pädagogen im Freien verbringen. Ein Großteil der einheimischen Pflanzen sind auch im Garten zu beobachten. Es wurden eigens kleine Stellen geschaffen, um die Pflanzen in aller Ruhe und aus nächster Nähe zu erkunden. Ein großer Sandkasten, Spielwiesen und eine amphitheaterähnliche Anlage regen zum Spielen an. Gemeinsame Streifzüge durch den nahegelegenen Wald werden die Kinder mit der einheimischen Natur vertraut machen

Lärmschutzvorkehrungen sind phantasievoll in die Außenlandschaft der Kindertagesstätte eingepaßt: Anstelle von Zäunen sind Hecken gepflanzt. Indianerzelte und Iglus aus Lehm und ein Rodelberg für den Winter, der von Geheimgängen durchzogen ist, sollen die Schallwellen des Straßenverkehrs abfangen. Das Bemalen und Gestalten dieser Spielstätten ist den Kindern überlassen

Selbstverständlich steht die Kindertagesstätte "Perlboot" in Gera-Lusan auch nichtchristlichen Kindern des Wohnviertels offen. Im bewußten Umgang mit der Natur in ihren Facetten sollen die Kinder an die Frage nach Gott als dem Schöpfer herangeführt werden. Im pädagogischen Konzept wird es so formuliert: "Der Glaube soll weitergegeben werden, aber insofern Glaube als ein Geschenk von Gott allein begriffen wird, soll es unsere Aufgabe sein, den Boden für dieses Geschenk zu bereiten."

"Die Einrichtung soll auch in anderer Hinsicht ein Symbol sein, ein Kontrapunkt zum derzeitigen allgemeinen Pessimismus", sagt Architektin Hoffmann: "Sie soll zeigen, daß es auch in dieser Zeit und in diesem Land möglich ist, in fast vollkommenem Einklang mit der Umwelt und sich selbst zu leben."

In unmittelbarer Nähe zur Kindertagesstätte liegt das Altenheim der Gemeinde. Die Kinder sollen einen natürlichen und offenen Umgang mit alten Menschen erfahren, was eine Bereicherung für sie und die Senioren bedeutet. Ebenso wird der unkomplizierte Umgang mit behinderten Kindern oder gehbehinderten Alten normal sein: Alle Wege sind für Rollstühle befahrbar, im Haus gibt es keine Türschwellen, sondern weite Räume und Gänge. In jeder Gruppe können bis zu drei Kinder im Rollstuhl aufgenommen werden

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 40 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 04.10.1998

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