Wie hälts Dus mit der Religion?
Ökumenisches Gesprächsforum
Kloster Volkenroda - Religion? Nein danke! Gottesdienst und Glaubenspraxis sind heute nicht gefragt. Gott ist "out", meinen viele Zeitgenossen. Den eigenen Körper jung und fit halten, ist "in". Schicke Kleidung tragen und Spaß haben, ist angesagt. Sich ein Haus bauen oder wenigstens ein schnelles Auto anschaffen, erscheint als Lebenssinn. Horoskope haben Konjunktur
"Wie hältst du's mit der Religion?" Diese Frage stand über einer Tagung zum Thema "Der moderne Mensch zwischen Säkularität und Religiosität", die vom 25. bis 27. September im thüringischen Volkenroda stattfand. Dazu hatten das Kloster Volkenroda sowie die Evangelische und Katholische Akademie in Thüringen eingeladen. Wiederaufbau und Neubelebung des Klosters und Dorfes Volkenroda sind eines der "Weltweiten Projekte" zur Weltausstellung Expo 2000 in Hannover, die unter dem Thema "Mensch - Natur - Technik" steht. Die Tagung nahm als Erstes Ökumenisches Gesprächsforum im Kloster Volkenroda den Themenschwerpunkt "Mensch" auf
"Religion ist in unserer Welt zur Privatsache und insofern unsichtbar geworden", stellte der Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Dr. Michael Nüchtern, Berlin, bei seiner Analyse der gesellschaftlichen Situation fest. "Zugleich aber", so Nüchtern weiter, "tauchen in dieser säkularen Welt an unterschiedlichsten Stellen Elemente des Religiösen auf." In der Werbung, aber auch in und um Filme, die zu "Kult"-Filmen werden, bei Rockkonzerten oder bei den Szenarien rund um Fußballspiele seien religiöse Elemente auszumachen. Für die Blutspende wird derzeit auf großen Plakaten mit "mein Blut für dich" geworben. Ein Parfumdesigner nennt sein Produkt "Eternity (Ewigkeit)". Michael Nüchtern: "Profanes wird bewußt mit dem Heiligen vermengt. Firmen treten mit dem Anspruch auf, mit ihren Produkten Sinn zu vermitteln und damit das zu leisten, was früher der Kirche zukam. Der Kult um ein Produkt macht dieses zum ,Sakrament'." Zudem verschaffen hochwertige Konsumgüter wie etwa Markenkleidung dem Benutzer ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gemeinde der Auserwählten
"Nachdem sich die Gesellschaft von alten Bindungen und Ordnungen getrennt hat, verlangt der Einzelne nach neuen Einbindungen, nach Erhebung, aber auch nach Entlastung und Trost", sagte der Fachmann für Weltanschauungsfragen. "Die Konzerne kommen diesen tiefen Sehnsüchten der Menschen mit religiös inszenierten Produkten entgegen." Der evangelische Christ Michael Nüchtern zieht den Schluß: "Nur in der Anbetung Gottes erfährt der Mensch sein Bedürfnis nach Erhebung wirklich gestillt. Angesichts einer sakralisierten säkularen Welt darf sich die Kirche keinesfalls immer mehr der Welt anpassen, sondern muß Christus ins Gespräch bringen."
Eine Position, die der Frankfurter katholische Religionsphilosoph Jörg Splett nachdrücklich unterstrich. "Wenn es nur um die Bedürfnisse des Menschen geht, werden andere diese mindestens genauso gut befriedigen wie die Kirchen", so der Religionsphilosoph von der Jesuitenhochschule St. Georgen. Dem Menschen müsse gesagt werden, daß er erst im Glauben und letztlich bei Gott die Erfüllung der in ihm angelegten Sehnsucht finden kann. Splett: "Wenn Gott uns liebt, dann steht es jedem Menschen zu, von ihm zu erfahren." Von daher gebe es eine christliche Verpflichtung zum "mutig hoffnungsvollen Einsatz für die Botschaft Jesu"
Anstelle von Säkularisation zu reden, müsse zwischen Entkirchlichung und Entchristlichung unterschieden werden. Darauf wies der Philosoph und Theologe Richard Schröder hin. Entkirchlichung bedeute das Auswandern von Institutionen aus kirchlicher Verantwortung. "Viel problematischer ist die zu verzeichnende Entchristlichung", so der Hochschullehrer von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin. Schließlich gehe es dabei "um den Verlust des christlichen Grundkonsens der Gesellschaft und der Verbindlichkeit christlicher Normen". Nach Ansicht des Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, Rechtsanwalt Michael Fürst, ist eine "Entgöttlichung" der Gesellschaft zu beobachten. Juden hätten mit den gleichen Entwicklungen zu kämpfen wie die Kirchen
Wegweisende Beispiele christlicher Präsens in der säkularen Gesellschaft waren ein weiterer Schwerpunkt der Tagung: Bruder Michael und Gerd Sander vom Kloster Volkenroda berichteten von Chancen des Zusammenlebens im Kloster. So sei es möglich, eine zeitlang in ihrer Jesus-Bruderschaft mitzuleben und auf diese Weise mit dem Christsein vertraut zu werden. Pfarrer Martin Montag aus Zella-Mehlis stellte das ehrenamtliche Engagement von Christen für Strafgefangene und Haftentlassene in Südthüringen vor. Dabei wurde deutlich, daß derartiges Engagement auch innerhalb der Gemeinden auf Unverständnis treffen kann. Vorgestellt wurde zum Beispiel auch die Erfurter Begegnungsstätte Café Paul und die Feier der Lebenswende als Alternative zur Jugendweihe
Die Thüringer Ministerin für Bundesangelegenheiten, Christine Lieberknecht (CDU), versuchte zum Abschluß des Gesprächsforums einen Ausblick (siehe Seite 12). Den "Herausforderungen an der Schwelle zum 3. Jahrtausend" - so ihr Thema - müsse vor allem auf drei Ebenen begegnet werden: Erziehung und Bildung, Suche nach einer gerechten Ordnung, Festigung der verwurzelten Wertüberzeugungen, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Frau Lieberknecht: "Auch für Menschen, die keiner Kirche angehören, ist einsehbar, daß dem Christentum in diesem Zusammenhang eine herausragende Rolle zukommt." Eckhard Pohl
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 11.10.1998