Seit 775 Jahren in Halberstadt
Franziskaner
Halberstadt (dw) - "Das Halberstädter Kloster ist für mich ein Zeichen der Hoffnung", sagt Pater Heribert Arens, Provinzial der Sächsischen Franziskanerprovinz. Er war Gast einer Festwoche, mit der die Halberstädter Franziskaner vom 1. bis 4. Oktober an die 775jährige Geschichte des Ordens in der Stadt erinnerten, die noch zu Lebzeiten des heiligen Franziskus begann
Eine besondere Bedeutung für die gesamte, Nord- und Ostdeutschland umfassende Ordensprovinz hatte das Halberstädter Kloster im 17. Jahrhundert erlangt: Zählten die Franziskaner in der Provinz im Jahre 1500 noch 110 Konvente, so war nach der Reformation, 100 Jahre später, nur noch ein einziger übrig: Halberstadt. 1625 war dort auch die Zahl der Brüder auf einen einzigen geschrumpft
Vom Westen her wurde das franziskanische Leben in der sächsischen Provinz in den folgenden Jahren von neuem belebt. Zur Zeit der Säkularisation im 19. Jahrhundert, als alle Franziskaner aus Halberstadt vertrieben wurden, waren es andere Klöster, in denen das franziskanische Leben weitergeführt wurde, so daß die Niederlassung am Rande des Harzes 1920 wiedereröffnet werden konnte
Heute leben im Halberstädter Kloster sechs Brüder. Sie arbeiten in der Pfarrseelsorge, in der Gefängnis- und der Altenseelsorge und gemeinsam mit drei Franziskanerinnen von St. Mauritz in der Obdachlosenarbeit. "Der heilige Franziskus ist 772 Jahre nach seinem Tod verblüffend aktuell" findet Schwester Marieta, die Leiterin der Halberstädter Wärmestube für Obdachlose und Bedürftige. Sie selbst fasziniert nicht nur seine tiefe Liebe zu Gott, sondern auch seine Zuneigung zu den Menschen und sein sensibler Umgang mit der Schöpfung. Im Alltagsleben kommt Franz von Assisi der Franziskanerin in vielerlei Situationen in den Sinn, wenn sie einem obdachlosen Besucher der Wärmestube in die Augen schaut, wenn sie ihre Blumen pflegt oder wenn ihr eine Ameise über den Weg krabbelt
Mehr als 1500 Halberstädter interessierten sich kürzlich bei einem "Tag der offenen Tür" für das Leben der Ordensleute in ihrer Stadt. Sie ließen sich Kirche, Kloster und Wärmestube zeigen. Viele suchten das persönliche Gespräch mit den Brüdern und Schwestern oder mit anderen Gemeindemitgliedern der Franziskanergemeinde St. Andreas. "Häufig wird Franz von Assisi heute als Sozialreformer oder Umweltschützer verstanden. Wir dürfen nicht übersehen, daß er in erster Linie Gottesmann war", sagte Pater Wolfgang Strotmeier am Abend des 3. Oktober. In der Todesnacht ihres Ordensgründers feiern die Franziskaner den "Heimgang" des heiligen Franziskus. Bei Fackelschein um eine Franziskusreliquie versammelt, rufen sie die Überlieferungen Thomas von Gedanos, eines der ersten Gefährten von Franziskus, über seine letzten Stunden in Erinnerung: Zum Sterben ließ er sich nackt auf ein Bußgewand legen und mit Asche bestreuen. Zuvor hatte er seine Brüder gesegnet, ihnen alle Schuld vergeben und sich die Passionsgeschichte aus dem Johannes-Evangelium vorlesen lassen. Gemeinsam singen die Halberstädter Franziskaner den berühmten Sonnengesang des Heiligen, dem er kurz vor Ende seines Lebens die letzte Strophe über den "Bruder Tod" hinzugefügt haben soll. "Wir feiern nicht seinen Tod, sondern seinen Übergang in das ewige Leben bei Gott", erläutert einer der Brüder
Provinzial Heribert Arens ist sich sicher, daß das franziskanische Leben weitergehen wird, auch für die Franziskaner in den neuen Bundesländern. Kürzlich hat die Ordensprovinz eine neue Niederlassung in Neubrandenburg eröffnet. Die Brüder auf dem Hülfensberg, einem geistlichen Zentrum im Eichsfeld, sollen in nächster Zeit noch Verstärkung bekommen
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 11.10.1998