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Aus der Region

Im Notenschrank der Kathedrale lag ein Schatz

Dresdner Kapellknaben

Dresden - Mit einem gehobenen Schatz sollen die Dresdner Kapellknaben in der neuen Saison brillieren. Die vollständige Handschrift einer Messe von Carl Maria Pembaur, Chordirektor und Musikdirektor an der Staatsoper, der seinen Dienst bis 1938 an der Hofkirche versah, fand sich im Notenschrank der Hofkirche. Domkapellmeister Matthias Liebich möchte das Werk seines bekannten Vorgängers zum Kirchweihfest der Kathedrale St. Trinitatis am 8. November aufführen. Zu Weihnachten wird die Messe Circumcisionis von Zelenka erklingen, denn die Pflege der Musik dieses Meisters ist für den Chor Verpflichtung. Silvester folgt traditionell das Te Deum von Hasse

Erst kürzlich sind die jugendlichen Sänger mit ihrem Leiter von einer Konzertreise aus Franken zurückgekehrt. Schon denken sie an weitere Konzerte im In- und Ausland. Auftritte unter anderem in Bautzen, Halle, Sangerhausen, Zwickau, Bad Liebenwerda und Diesbar-Seußlitz stehen noch 1998 an. Im nächsten Jahr soll es zu Himmelfahrt in die Niederlande gehen, die sommerliche Konzertreise wird durch Kirchen in Brandenburg, Mecklenburg bis hoch zur Ostsee führen

Das bedeutet viel Fleiß neben der Lust am Musizieren für die 57 Jungen, die gegenwärtig dem Knabenchor an der katholischen Kathedrale angehören. Sie proben, machen ihre Hausaufgaben oder verbringen ihre Freizeit zum großen Teil im Kapellknabeninstitut in Dresden-Striesen

Das innen zum Teil neugestaltete Haus hat einiges zu bieten: Musikräume für den Einzelunterricht am Instrument und einen großen Probensaal. Die Chorsänger bewohnen geräumige Zimmer, wobei die Großen ganz individuell unterm Dach hausen. Der Fußballplatz und die Sporträume stehen in der Freizeit bei den meisten an erster Stelle. Was Wunder, daß mancher, der zunächst als Externer begann und nur zu den Chorstunden im Haus erschien, um der Gemeinschaft willen lieber Tagesschüler wird. Für Dresdner Jungen gibt es diese beiden Möglichkeiten, Chormitglieder aus entfernteren Orten wohnen selbstverständlich im Internat

Trotz der guten Bedingungen zum Leben und Lernen sieht Domkapellmeister Matthias Liebich etwas sorgenvoll auf die nächsten Jahre, wenn er an den Nachwuchs für "seinen" Chor denkt. Die geburtenschwachen Jahrgänge sind jetzt im Eintrittsalter. Aber er läßt sich von den Sorgen nicht die Freude an seiner Arbeit mit den Jungen nehmen. Für ihn, der die Dresdner Kapellknaben als Nachfolger Konrad Wagners jetzt eineinhalb Jahre leitet, verquicken sich Vorschau und erfolgreicher Rückblick. Rund 80 Gottesdienste und etwa genauso viele Konzerte haben sie seit seinem Amtsantritt gestaltet. Der liturgische Dienst ist ihre Hauptaufgabe, bestimmt vom Festkreis des Jahres und dem katholischen Ritus. Das hieß 1998 zum Beispiel Messen von Dvorak, Naumann, Haydn und Mozart sowie Cherubinis Requiem

Bei dem allgemeinen großen Interesse für sakrale Musik wird der Knabenchor gern zu kirchlichen Konzerten eingeladen. "Beeindruckende Klangqualität" bescheinigte den Dresdnern die Fuldaer Zeitung. Die Thüringer Landeszeitung schrieb nach einem Gastspiel in Mühlhausen: "Die Jungen reagierten auf Liebichs feinfühliges, zugleich aber mitreißendes Dirigat spontan, ihre Intonationsreinheit ließ kaum zu wünschen übrig."

Zum Rückblick gehört die gerade erarbeitete CD mit geistlichen Gesängen, die in diesen Tagen erschien, sowie die Teilnahme am Katholikentag in Mainz zusammen mit dem Mainzer Domchor und den Augsburger und Limbacher Domsingknaben. Vor 4000 Zuhörern sangen sie jeweils ein 20-Minuten-Programm und zum Schluß alle gemeinsam. An der Bistumswallfahrt nach St. Marienstern am 13. September nahmen die Dresdner Kapellknaben zusammen mit dem Propsteichor Leipzig teil

In Dresden vereint sich zur Aufführung großer Werke bekanntermaßen der Kathedralchor mit den Stimmen der Jungen. Neben diesen beiden Formationen an der ehemaligen Hofkirche, für die der Domkapellmeister verantwortlich ist, hat er jetzt noch ein weiteres Angebot ins Leben gerufen: Frauen- und Männerstimmen singen Gregorianik, weil es ihnen Freude macht, ein Choralamt zu gestalten. Keine Konkurrenz für die Kapellknaben, aber eine gute Ergänzung, wenn sie nicht "zu Hause" sind

Manchmal wünscht sich der Domkapellmeister einen Assistenten. Überhaupt, wenn es ans Wünschen geht: Neues Notenmaterial wäre erforderlich. Manche Sätze auf DDR-Papier drohen zu zerfallen. Und sonst? "Daß es mir großen Spaß macht, hört und sieht wohl jeder" sagt Matthias Liebich spontan. "Das Theater fehlt mir im Prinzip nicht." Neun Jahre war er, der ehemalige Kapellknabe und gelernte Orgelbauer, Kapellmeister an den Landesbühnen Sachsen, wo unlängst sein Musical "Der gestiefelte Kater" mit großem Erfolg lief. Komponieren aber ist eine schöne Nebenbeschäftigung. Sakrale Gesänge entstehen ebenso wie eine Puppenspielmusik für die Aufführung "Das kalte Herz" in Bautzen

"Na, ist die Stimme noch da?" neckt der Domkapellmeister im Vorbeigehen einen Sopran, der am Abend in der Semperoper gemeinsam mit Peter Schreier singen soll. Anläßlich der "Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik" stehen die Killmeyer-Lieder auf dem Programm. Auch das ist Realität im Leben der Kapellknaben. Sie sind, wie Dr. Gerhard Poppe es in seinem Vortrag in der Katholischen Akademie Dresden kürzlich formulierte, "ein Zweig am Baum der Staatskapelle". Gegründet wurde die Kapelle als "Hoffcantorei", und neben der Musik am Hofe hat die Kirchenmusik bis zur erzwungenen Trennung 1938 stets zu ihren Verpflichtungen gehört, im evangelischen, und durch die besondere Situation in Sachsen zugleich im katholischen Hofgottesdienst. Von einer Neugründung der "Kapellknaben" an der Katholischen Hofkirche spricht man 1709, wenngleich es sich damals weniger um Knaben, als um erwachsene Musiker gehandelt haben soll. Einen so großen Knabenchor wie heute gibt es eigentlich erst seit den Tagen Konrad Wagners. Noch in der sowjetischen Besatzungszone hatte Propst Sprenzel eine "Haltegenehmigung" für die Sänger an der Hofkirche erwirkt. Seither singen sie zur Ehre Gottes und zur Freude der Menschen

Ursula Wicklein

Ein 22minütiges Informationsvideo steht für interessierte Eltern und Gemeinden zur Verfügung. Das Video kann ausgeliehen werden. Es besteht aber auch die Möglichkeit, daß ein Mitarbeiter des Kapellknabeninstituts das Video vorführt und dann weitere Auskünfte geben kann. Anfragen an: Telefon (03 51) 3 10 01 69.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 42 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 18.10.1998

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