Schwieriges Zusammenfinden von Christen und Juden
Edith Stein
Am vergangenen Sonntag hat der Papst in Rom die Breslauer Jüdin Edith Stein, die spätere Karmelitin Schwester Theresia Benedicta a cruce (Schwester Theresa, gesegnet vom Kreuz), heiliggesprochen. Die Freude vieler Christen ist groß. Eine Atheistin unserer Tage, in Deutschland lebend, war katholische Ordensfrau geworden, heiligte den Willen Gottes, wie die Juden sagen, durch die Hingabe ihres Lebens. Ihr Vorbild ist für uns Christen ein Geschenk
Anders beurteilen Juden solche Ereignisse. Sie betrauern einen der Ihren, der sich taufen läßt, um Christ zu werden, wie einen Verstorbenen. Sie sagen: Er hat uns verlassen, er gehört nicht mehr zu uns. Christen finden es konsequent, wenn ein Jude zusätzlich zum Jude-Sein Christ wird. Juden dagegen sind der Überzeugung, daß ein Jude aufhört Jude zu sein, wenn er Christ wird. Sie fragen ihn, warum genügt es dir nicht, zum jüdischen Volk Gottes zu gehören, warum willst du jetzt auf einmal zum Volk Gottes der Christen gehören? Durch die christliche Taufe wirst du uns fremd. Der jetzige Papst hat die Juden unsere älteren Brüder und Schwestern im Glauben genannt. Wenn wir das zurecht nachsprechen, dürfen wir aber nicht vergessen, daß wir uns in unterschiedlicher Weise als Geschwister verstehen. Und es bedarf eines geduldigen Aufeinanderhörens, bevor wir richtig zueinander reden können und nicht aneinander vorbei
Aus diesem Grund und vielen anderen ist das Verhältnis zwischen Christen und Juden in nun fast 2000 Jahren Geschichte durch viele Mißverständnisse und gegenseitiges Unrecht belastet. Deshalb haben sich seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts zunächst in den USA, dann in Großbritannien, Frankreich und der Schweiz, dann in weiteren Ländern, Christen und Juden zusammengefunden, um einen vielfach anzutreffenden Antisemitismus (wegen des Andersseins der Juden) nicht hilfslos gegenüber zu stehen, sondern um ihn zu überwinden durch das gegenseitige Bemühen um Verständnis und gegenseitigen Beistand. Sie fanden sich zusammen in örtlichen Kreisen, die dann Nationale Räte der Christen und Juden bildeten, später auch den Internationalen Rat der Christen und Juden (ICCJ)
In Deutschland bildeten sich Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit erst nach 1948, vor 50 Jahren, zunächst in der amerikanischen Besatzungszone: in München, Wiesbaden, Frankfurt am Main, Stuttgart und Berlin, in den neuen Bundesländern nach 1989 in Dresden, Potsdam, Görlitz und Zwickau. Es gibt zur Zeit über 75 lokale und regionale Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Deutschland, neben manchen Gruppen, die in ähnlichen Anliegen arbeiten, aber anders organisiert sind. Am 10. November 1949 wurde der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegründet, der jetzt seinen Sitz in Bad Nauheim bei Frankfurt am Main hat
Gemeinschaft wächst durch Gespräche, aber mehr noch durch gemeinsames Tun und gegenseitige Hilfe. In dieser Hinsicht ist manches Gute geschehen durch Wiederherstellen geschändeter jüdischer Friedhöfe, aber auch durch die Ermöglichung des Baus einer Synagoge für eine junge jüdische Gemeinde in Deutschland. Möge Gott solche Werke segnen!
Dr. Michael Ulrich, Dresden
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 18.10.1998