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Aus der Region

Leipziger Oratorianer leitet das Priesterseminar in Litauen

Solidarität in Vilnius

Bei seinen Besuchen in Deutschland hört der Leipziger Oratorianer Dr. Hans-Friedrich Fischer immer wieder davon, daß die christliche Solidarität - gerade in Richtung Osten - nachgelassen habe. "Ich kann nur das Gegenteil behaupten." Gerade während des Neubaus des Priesterseminars in Vilnius hat er das erfahren. Deshalb: "Ein herzliches Dankeschön an alle, die unseren Neubau unterstützt haben oder die andere Projekte in Litauen und in den ehemaligen Ostblockländern unterstützen."

Hans-Friedrich Fischer ist seit einem reichlichen Jahr als Rektor für das Vilniuser Priesterseminar tätig. Anders als in der Erfurter Priesterausbildung etwa gibt es in Litauen nicht die Trennung zwischen Regens des Seminars und Dekan der Hochschule. Fischer ist als Rektor sowohl für die geistliche Vorbereitung der Seminaristen auf das Priestertum als auch für die theologische Ausbildung zuständig. Und mit der Einweihung des Neubaus ist jetzt seine Verantwortung größer geworden, denn das Vilniuser Seminar ist nicht mehr nur das Seminar des Erzbistums Vilnius, sondern als Metropolitanseminar auch für die beiden Bistümer Kaisiadorys und Panevezys zuständig. In ganz Litauen gibt es drei Priesterseminare, in denen sich etwa 230 junge Männer auf das Priestertum vorbereiten

Litauen ist ein katholisches Land. Über 70 Prozent der Bevölkerung sind getauft. Das sei vergleichbar mit Polen, sagt Hans-Friedrich Fischer, aber es gebe in Litauen eine höhere Zahl praktizierender Katholiken. Dennoch: Die Kirche hat mit den Nachwirkungen des Sowjetregimes zu kämpfen. Die Strukturen werden erst allmählich wieder aufgebaut. Eine Kirchensteuer gibt es nicht. Das Priestergehalt wird aus den Spenden der Gemeinden finanziert. Weil es aber reiche und arme Gemeinden gibt, gibt es auch reiche und arme Pfarrer. Und ähnlich ist es mit der Unterstützung der Seminaristen. Hier ist ein Ansatzpunkt für die Tätigkeit von Hans-Friedrich Fischer: Die künftigen Priester sollen schon im Seminar Solidarität lernen. "Wenn ihr es hier nicht lernt, lernt ihr es nie", sage er den Priesteramtskandidaten immer. Deshalb hat er beispielsweise zusammen mit den Studenten eine "Selbsthilfekasse" eingerichtet. Wer kann, zahlt etwas ein, und wer Not hat, erhält Unterstützung: für die Fahrkarte, für Medizin oder wenn es einen Notfall in der Familie gibt

Solidarisch zu leben und andere dazu anzuleiten, ist gerade für die Kirche in Litauen eine wichtige Aufgabe: Insgesamt sieht Fischer zwar die wirtschaftliche und politische Talsohle durchschritten. "Es geht langsam wieder aufwärts." Aber: Wie in anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks werden die sozialen Gegensätze immer schärfer. "Ganz wenige werden immer reicher, viele aber ärmer", sagt er. Die Renten sind niedrig, es gibt kaum Kindergeld, die Landwirtschaft wird kaputt gemacht und vor allem fehlt ein soziales Netz. In der kleinen Gemeinde außerhalb von Vilnius, die Fischer betreut, schätzt er, daß jeder Fünfte keine Arbeit mehr hat. "Wer arbeitslos wird, bekommt drei Monate Arbeitslosengeld, dann ist Schluß." Und wer ganz unten ist, ertränkt seine Probleme im Alkohol oder beschafft sich das Geld auf kriminellem Wege

Hier könnte die Kirche einen wichtigen Dienst für die litauische Gesellschaft übernehmen. Fischer: "die katholische Soziallehre als Korrektiv zum Neokapitalismus." Der Vilniuser Erzbischof Audrys Juozas Backis legt deshalb - neben den vielen Aufgaben, denen sich die litauische Kirche außerdem noch stellen muß - besonderes Gewicht auf die Sozialarbeit: Armenküche, Projekte für Straßenkinder oder für alleinerziehende Mütter. "Die Kirche leistet hier eine tolle Arbeit", meint Fischer

Und was möchte Hans-Friedrich Fischer den katholischen Christen in Deutschland sagen? Er wünscht sich mehr direkte Kontakte - Gemeindepartnerschaften oder Partnerschaften zwischen Einrichtungen. Dabei muß nicht das Finanzielle im Vordergrund stehen: "Die Leute brauchen nicht nur ein Dach für den Körper, sondern auch für die Seele."

Matthias Holluba

Wer die Arbeit von Hans-Friedrich Fischer unterstützen will, kann sich mit der Redaktion in Verbindung setzen. Spenden sind möglich auf das Konto der Pfarrvikarie Leipzig-Leutzsch (Konto-Nummer: 208 281 459, Stichwort "Priesterseminar Vilnius", bei der Liga-Bank Dresden BLZ 850 90 300).

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 43 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.10.1998

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