Vorgestellt
Der evangelische Dekan Martin Herche
"Wir mögen ihn alle und sind traurig, dass er geht", sagt ein alteingesessener Heiligenstädter. "Wir sind froh, dass er hier war." Der evangelische Dekan Martin Herche wird von vielen in der katholisch geprägten Eichsfeldstadt sehr geschätzt. 1993 kam der Pfarrer und Vater von drei Söhnen nach Heiligenstadt, um den langjährigen Superintendenten Hans Martin Lange abzulösen, der in den Ruhestand trat. Im Herbst dieses Jahres nun wird Herche selbst wieder aus Heiligenstadt weggehen und evangelischer Propst in Halle werden.
Während andernorts die ökumenischen Beziehungen mit der politischen Wende 1989/90 eher schwieriger geworden sind, versuchen die Christen Heiligenstadts soviel wie möglich gemeinsam zu machen, bestätigt Herche. "Wir wollen miteinander Glauben leben. Es gibt viele Möglichkeiten. Wir praktizieren sie, so oft es geht, und freuen uns an dem, was uns verbindet." Spontan fällt Herche, der bis zu einer innerkirchlichen Strukturreform 1999 Superintendent war und seitdem den Titel Dekan trägt, die jährliche Taufgedächtnisfeier auf dem Hülfensberg ein. Evangelische und katholische Christen erinnern sich bei dem Gottesdienst am Vorabend der großen Hülfensberg-Wallfahrt an ihre eigene Taufe. "Das hilft dem Einzelnen zur eigenen Glaubensvergewisserung, stärkt aber auch das Gefühl der Gemeinschaft: ,Wir Christen gehören zusammen'. Was aber nicht heißt, dass wir die Abendmahlsgemeinschaft für zweitrangig halten", sagt Herche. "Bei der Tauferneuerung erinnern wir uns jedoch an "das Sakrament, das uns deutlich verbindet".
Im vergangenen Jahr - die Erinnerung an die Weihe Bischof Burkardts von Worms vor 1000 Jahren in Heiligenstadt bot den Anlass - nahmen evangelische und katholische Christen bewusst gemeinsam an der Leidensprozession am Palmsonntag teil. Auch der zuständige Magdeburger evangelische Bischof Axel Noack und Bischof Joachim Wanke waren gekommen. Dies war ein deutliches Sinnbild christlicher Gemeinschaft, sagt Herche, der Leitungsmitglied in der Ökumenischen Kontaktgruppe Thüringen ist.
In Heiligenstadt gehört es inzwischen zur Normalität, dass jeweils im Januar katholische und evangelischer Seelsorger, Mitarbeiter und Gemeindemitglieder die anstehenden Ereignisse und Veranstaltungen des Jahres abstimmen. Das sei mehr als Ökumene, sagt Herche. Denn dem Begriff hafte schließlich etwas "diplomatisches" an.
Als einer der Stellvertreter des Superintendenten in Mühlhausen ist der 48-Jährige für neun evangelische Pfarrstellen im Obereichsfeld mitverantwortlich. Die Pfarrkirche seiner eigenen Gemeinde, St. Martin, die 1803 per preußischem Dekret an die damals wenigen evangelischen Christen ging, gilt als älteste Kirche des Eichsfeldes. Gerade dieser Tage sind Fundamentreste gefunden worden, die vermutlich aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts (!) stammen. Herche gebraucht gern den von katholischer Seite geprägten Begriff von der "Mutterkirche des Eichsfeldes": "Sie soll als evangelische Kirche nicht ein Gotteshaus sein, an dem sich die Spaltung manifestiert, sondern die an die gemeinsame Geschichte und Basis unseres Christseins erinnert und in der oft gemeinsam Glaube gelebt wird", sagt Herche. Insofern soll die Martinskirche ein Ort der Begegnung von evangelischen und katholischen Christen, aber auch mit Nichtchristen und zwischen Menschen aus Ost und West sein. Zeugnis dafür sei zum Beispiel der jährliche ökumenische Gottesdienst zum Stadtfest und das schon zur Tradition gewordene "Gebet im Volke Gottes", einem gemeinsamen Gottesdienst für alle Firmlinge und Konfirmanden. Bei den Mitchristen der eigenen Konfession wünscht sich Martin Herche manchmal mehr Selbstbewusstsein: "Wir sind vom Neuen Testament her Christen und wir sind Kirche." Insofern verstehe er die römische Erklärung Dominus Iesus vom vergangenen Herbst als ernstzunehmenden Anstoß, "sich des eigenen Kirchenverständnisses zu vergewissern, nicht aber als grundsätzliche Anfrage an das eigene Kirchesein".
Hinsichtlich seines Mühens um viel Gemeinsamkeit zwischen den Konfessionen ist Herche nicht zuletzt durch seine Zeit als Repetent und Assistent am Naumburger Katechetischen Oberseminar geprägt. Dort befasste er sich mit Geschichte und Gegenwart der Ostkirchen. Mehrfach war er zu Studienaufenthalten in der damaligen Sowjetunion, so auch an der Geistlichen Akademie in Leningrad (heute St. Petersburg), wo er täglich an den orthodoxen Gottesdiensten teilnehmen konnte.
Herche glaubt, in der Pfarrer- und Mitarbeiterschaft seiner Kirche "Anzeichen für einen geistlichen Frühling" entdecken zu können. "Uns wird wieder stärker deutlich: Wir brauchen das Bibelgespräch, wir brauchen geistliche Gemeinschaften, die Menschen zur Einkehr einladen, wir brauchen Symbole wie die Osterkerze." Hinsichtlich der vielen Nichtchristen befürchtet der aus Wriezen im Oderbruch stammende Herche, Nichtgetaufte könnten oft nicht erkennen, was sie davon haben, wenn sie sich Gott und der Kirche zuwendeten. Auf die Frage, warum die evangelischen Kirchen in der Wende voll waren, danach aber schnell wieder leer wurden, antwortet Herche energisch: "Warum ,nur'? Weil die Situation Ende der 80er Jahre war, wie sie war, haben wir die Kirchen geöffnet. Und die Menschen haben dieses Angebot genutzt. Daraus ist die friedliche Revolution der Kerzen geworden. Gott sei Dank!" Eine andere Frage sei jedoch, "wie wir uns gegenseitig helfen können, im Glauben zu wachsen". In dieser Hinsicht seien die Kirchen gefordert, den Boden zu bereiten und die bestqualifiziertesten Mitarbeiter an die richtigen Stellen setzen. So etwa für das Gespräch mit Naturwissenschaftlern oder mit Arbeitgebern, die 1991 zuversichtlich begonnen haben, Firmen aufzubauen, jetzt aber Menschen entlassen müssten ... Um Ungetauften vom Glauben erzählen zu können, sollten sich Christen zunächst als fürbittende Gemeinde für ihre Mitmenschen verantwortlich fühlen, Räume zur Verfügung stellen, Möglichkeiten zur Versöhnung bieten, offene Türen und offene Herzen haben.
Im November wird Herche für die Propstei Halle-Naumburg, aber auch gesamtkirchlich Verantwortung übernehmen. Ein gutes Miteinander zwischen den Konfessionen wird ihm wichtiges Anliegen bleiben.
E. Pohl
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 18.03.2001