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Kulturland Deutschland in Europa

Dokumentation (Teil 3)

Die Thüringer Ministerin für Bundesangelegenheiten, Christine Lieberknecht (CDU), hat kürzlich bei einer Veranstaltung im Kloster Volkenroda einen Vortrag zum Thema "Herausforderungen an der Schwelle zum 3. Jahrtausend" gehalten. Hier ist Teil 3 der Auszüge aus der Rede:

Diese Voraussetzungen müssen im Gegenzug zu den größeren Freiräumen des Einzelnen, zu den mit der Globalisierung einhergehenden Entgrenzungen gefestigt werden. Das ist mit Verfahrensregeln und einem dürren Verfassungspatriotismus alleine nicht getan. "Keiner Verfassung ist es gegeben, die für ein gedeihliches Zusammenleben unentbehrliche Solidarität zwischen Volk und Regierung, von Gesamtheit und Gliedern durch Rechtsbestimmungen zu schaffen, das ist Sache der Volkserziehung in deren höchstem Sinne, der Entwicklung politischer Gesinnung." Das hat Hugo Preuß 1919 der von ihm entworfenen Weimarer Reichsverfassung als conditio sine qua non mit auf den Weg gegeben

Um was geht es bei dieser "Volkserziehung"? Zum einen geht es darum, die in langen Zeiträumen gewachsenen geistigen und kulturellen Grundlagen immer wieder zu erneuern, die in Deutschland und Europa ohne den christlichen Beitrag nicht denkbar sind. Auch für Menschen, die keiner Kirche angehören, ist einsehbar, daß dem Christentum ... eine herausragende Rolle zukommt. Es ist erhellend, einmal zu formulieren, was mit einem christlich geprägten Gemeinwesen verloren ginge - in der Perspektive des Westens - oder was diese christliche Prägung bedeuten könnte - in der Perspektive Mittel- und Ostdeutschlands

Zunächst kann an ganz banale Dinge erinnert werden: Das Kirchenjahr gibt dem Festtagskalender unserer Gesellschaft mit wenigen Ausnahmen seine Struktur. Auch die siebentägige Woche mit dem Sonntag ist christliches Erbe. Große Teile unserer Literatur, der Musik, der Malerei, der Architektur und vieler anderer Bereiche, ja der Geschichte überhaupt, sind ohne den christlichen Hintergrund nicht zu verstehen

Es gibt - um auf die abstrakteren Dinge zu sprechen zu kommen - einen geschichtlichen und einen sachlichen Zusammenhang zwischen den Menschenrechten, dem demokratischen Rechtsstaat und dem Christentum, aber auch - wie bereits dargelegt - zwischen der sozialen Marktwirtschaft und den sozialethischen Traditionen der christlichen Kirchen

Schließlich ist an die tragenden Werte zu denken, die unserem Gesellschaftsmodell zugrunde liegen. Freiheit in der Bindung, Fähigkeit zur Eigenverantwortung, die Verpflichtung zur Solidarität, Toleranz, die Achtung der Menschenrechte und die Gegnerschaft zu jedem Totalitarismus. Das sind Werte, die mit dem christlichen Menschenbild eng verknüpft sind. Das gilt auch, wenn die Kirchen immer wieder selber dagegen verstoßen haben. Es gilt auch, wenn man diese Werte selbstverständlich anders begründen kann. Durch das Christentum werden sie in einer anderen Ebene verankert, gesichert und - wenn nötig - erneuert

Ohne diesen Hintergrund ist kein Staat zu machen. Das Bundesverfassungsgericht hat Recht, wenn es meint, daß auch der weltanschaulich neutrale Staat "die kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Wertüberzeugungen nicht abstreifen kann, auf denen der gesellschaftliche Zusammenhalt beruht". Leider läßt es sich von dieser Einsicht nicht immer leiten

Es läßt sich im strengen Sinn zwar nicht belegen, daß dieser Zusammenhalt nicht anders gestiftet werden kann. Aber selbst Glaubenslose werden es nach den Erfahrungen dieses Jahrhunderts nicht mehr darauf ankommen lassen, das Gegenteil zu beweisen. Tradition und Kultur sind immer noch die wesentlichen Halteseile für jedes Gemeinwesen

Und ich traue mir auch noch kein sicheres Urteil darüber zu, welche langfristigen Folgen der Kirchenkampf der SED und die Austrocknung des für die Kirchen wichtigen kulturellen Umfeldes für unser Gemeinwesen haben wird. Die Anfälligkeit der Jugend für extremistische Parteien könnte eine Folge sein

Über das Interesse des Staates in dieser Frage kann es meines Erachtens keine Zweifel geben, jedenfalls sofern er vernünftig handelt. Er wird das kirchlich verfaßte Christentum unterstützen, weil es ganz ohne Zweifel die soziale Verträglichkeit und den Gemeinsinn fördert, aber auch das Wertgefüge und die Kultur lebendig erhält

Christen in der Politik sollten daran immer wieder erinnern: Es ist eben doch ein gewaltiger Unterschied, ob ich mein Weltbild nach den Begriffen wie Rasse oder Klasse oder auch an der betriebswirtschaftlichen Effizienz ausrichte, oder ob ich mich an der transzendental verankerten Würde jedes einzelnen Menschen orientiere

Leider vermisse ich auch bei vielen im öffentlichen Leben tätigen Christen, daß sie auf diesen Unterschied auch einmal hinweisen. Viel wäre gewonnen, wenn Christen diese Maßstäbe gegenüber anderen gelegentlich herausstellen würden. Es muß deutlich werden, wieso man etwas so und nicht anders sieht

Ich sehe darin einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag zur christlichen Sozialisation der Gesellschaft. Es ist etwas anderes, wenn sich die Kirche durch ihre dazu bestellten Gremien und Repräsentanten äußert und wenn die Laien diesen Hintergrund in ihren jeweiligen Aufgabenfeldern herausstellen - weil es im positiven Sinn überraschen und damit einen Denkanstoß zu geben vermag

Nun kann diese Integration des Gemeinwesens nicht nur den Christen und ihren Kirchen zugeschoben werden. Die Notordnungen sind nicht zuletzt auch eine Sache der Welt. Über den Staat und die Bürgergesellschaft haben wir in diesem Zusammenhang bereits gesprochen

Individualisierung, entgrenzende Globalisierung und die Integration Europas werfen genauso die Frage nach der nationalen und regionalen Identität auf. Wer über den Zusammenhalt und das kulturelle Fundament der Gesellschaft nachdenkt, kommt am Thema Herkunft, der regionalen und nationalen Prägungen nicht vorbei

Seit der Wiedervereinigung findet sich Deutschland als Nation unter anderen europäischen Nationen in der Mitte Europas wieder. Diskussionen über das Selbstverständnis der Deutschen erwecken trotzdem den Eindruck, das nationale Element noch immer angesichts des verhängnisvoll und mörderisch überzogenen Nationalismus in der NS-Zeit vorsorglich ausklammern zu müssen. Es bleibt eine Leerstelle, die mit Zivilgesellschaft und Verfassungspatriotismus nicht zu füllen ist

Nationen sind auch heute noch der Ort, im dem sich Solidarität am ehesten organisieren und durch ein nicht erst begründungsbedürftiges Zusammengehörigkeitsgefühl emotional stützen läßt. "Wir sind ein Volk", hieß das viel einfacher und eindeutiger um die Jahreswende 1989/90

Wolfgang Schäuble hat 1992 versucht, das Thema aufzugreifen, und an "die Grundlagen jeder nationalen Gemeinschaft, die vor Angebot und Nachfrage stehen und weit darüber hinausgehen", erinnert. Er fragte danach, ob die in den spärlichen Kinderzahlen sichtbar werdende Zukunftsverweigerung mit der Fixierung auf Konsum, Freizeit und Lebensgenuß etwas damit zu tun haben könnte

Das publizistische Sperrfeuer, das Schäuble damit provozierte, ist deshalb so bedenklich, weil es an der Zeit ist, über Inhalte und Formen auch im Zusammenhang mit der Einbettung in Europa nachzudenken. Dabei wird der Kultur, die in Deutschland stets durch förderale Vielfalt und durch die Mittellage auch durch die Impulse vieler Nachbarn geprägt war, in Zukunft eine größere Rolle zukommen. Kulturland Deutschland in Europa wird dabei für uns das Ziel sein. Und da hat besonders Thüringen viel einzubringen ..

(Schluß)

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 43 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.10.1998

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