Alten Kirchgebäude in Gefahr
Messe denkmal '98
Leipzig (jak) - Verkauf von Kirchen, geht das? "Noch", so Dr. Ulrich Böhme vom Baureferat der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen, "sagen Herz und Verstand nein, aber wie lange noch?" Das Baureferat hatte Ende Oktober zur diesjährigen Denkmalmesse in Leipzig zu einem Symposium unter dem Motto "Wechselwirkungen zwischen Nutzung und Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler" eingeladen.
Nach Worten von Dr. Ulrich Böhme würde jeder Kirchenaustritt und jede nicht wieder besetzte Pfarrstelle auch die kirchliche Bausubstanz auf Dauer gefährden. Das Problem vieler Kirchen und kleiner Gemeinden laste derzeit schwer auf den evangelischen Kirchen und belastet die ohnehin knappen Kassen. Daher wurde in Leipzig besonders die Frage erörtert, in welchem Maße Kirchen künftig einer Mehrfachnutzung zugeführt werden können. Dr. Ulrich Böhme regte an, unter Beachtung der Widmung einer Kirche zu überlegen, ob in ihr "nicht Musiker jazzen, Politiker predigen oder Schriftsteller lesen können".
In diesem Zusammenhang wies der Schriftsteller, Dichter und sächsische Landtagsabgeordnete Uwe Grüning darauf hin, daß das, "was keine Funktion besitzt, sich nicht auf Dauer erhalten läßt." Uwe Grüning machte den Anwesenden Mut, sich weiter für die sakralen Bauwerke einzusetzen, gerade in einer Zeit, die von Traditionsverfall und Wertenivellierung geprägt sei. Persönlich möchte er sich in der sächsischen Landespolitik weiter dafür engagieren, daß die Erhaltung der Kirchen einen Platz im Landeshaushalt bekommt. Denn die Kirchen allein - so wurde es in Leipzig wieder deutlich - können die Kosten längst nicht mehr tragen.
So hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) vor kurzem eine Stiftung zum Erhalt gefährdeter Kirchen in Deutschland ins Leben gerufen. Erstes Projekt war die Sanierung und Restaurierung der Kirche in Puttbus auf Rügen. Stiftungsvorsitzender, Prof. Manfred F. Fischer aus Hamburg, hob das gemeinsame Erhaltungsinteresse als gesellschaftliches Anliegen hervor und erinnerte dabei an ein Wort Theodor Fontanes. Dieser schrieb einmal: "Nur die Dorfkirchen tragen unsere ganze Geschichte." Laut Manfred F. Fischer ist die Nutzungsfrage einer Kirche die Kernfrage, wobei der Idealzustand natürlich die kirchliche Nutzung wäre. Dennoch müsse auch eine sogenannte "Nutzungsverdichtung" ins Blickfeld genommen werden. Neben musikalischen Veranstaltungen stehe auch die Frage, ob der Kirchenraum auch Versammlungsraum der ganzen kommunalen Gemeinde sein könne. Zudem regte er an, daß ganze Leben der christlichen Gemeinde in den Kirchbau zu übertragen und statt der Kirche lieber andere, im Unterhalt teure Gebäude zu veräußern. Kritisch äußerte sich Fischer auch über den Zustand der Friedhöfe um die Kirchen herum, deren Verfall für ihn persönlich sehr bedrückend sei. "Auch die Verstorbenen sind Teil einer Gemeinde", sagte Fischer. Sie und gerade die junge Generation müßten diesen Aspekt erkennen und sich für den Erhalt der alten Gräber einsetzen.
Wichtig sind für den kirchlichen Denkmalpfleger besonders offene Kirchen. Doch dazu müßten sich ehrenamtliche Gemeindemitglieder finden, die die Aufsicht übernehmen. In einer offenen, einladenden Kirche können Fernstehende mit der Kirche neu in Kontakt treten. Und mittels Ausstellungen besteht die Möglichkeit, auf den baulichen Zustand hinzuweisen. "Ich wünsche mir in allen Kirchen Aktionen. Denn der Weg zum Scheckbuch geht über das Auge", betonte Fischer weiter. Abschließend sagte er: "Bei allem sind Konzepte des Agierens gefragt, nicht des bloßen Reagierens. Also, wie halte und vergrößere ich die Gemeinde. Und nicht, was mache ich mit der Kirche. Wir sollen uns nicht einengen lassen durch die Angst. Denn was wir heute aufgeben, das kann uns morgen fehlen."
Erfahrungen aus Hamburg kamen von Hauptpastor Helge Adolphsen von der Michaeliskirche - kurz Michel. Er berichtete über die tiefe Beziehung der Hamburger zu ihrer Stadtkirche, eine Verbindung, die nicht immer an die Konfession gebunden sei. Auch in anderen Gegenden sei die Erhaltung ihrer Kirche für viele Menschen ein Anliegen. Für Ostdeutschland nannte Adolphsen die Zahl von 67 Prozent. Wörtlich meinte der Hauptpastor aber auch: "Wo Gottesdienste nicht mehr regelmäßig gefeiert werden, dort schlägt das Herz einer Kirche nicht mehr." Dennoch lohne es sich, die Kirche als Fest- und Begegnungsstätte eines Ortes zu entdecken.
Abschließend verabschiedeten die Teilnehmer eine Erklärung. In ihr heißt es unter anderem, daß die Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler auch in einem entchristlichten Umfeld nicht aufgegeben werden darf. Zudem seien die Kirchen unverzichtbarer Bestandteil der örtlichen Kulturlandschaft, Orte für Tradition und Geschichte, ein Stück Heimat und ein touristischer Anziehungspunkt. Und an die Politik ging die Anregung, bei Bauarbeiten an sakralen Gebäuden auf die anfallende Mehrwertsteuer zu verzichten.
Am dritten Messetag kam es auf Einladung dreier Initiativen zu einem Erfahrungsaustausch von Menschen, die sich für den Erhalt von Kirchen in Hessen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern einsetzen. In Brandenburg wurde so eine Kirche vor der von der Gemeinde beantragten Sprengung bewahrt. Die Kirche in Saaringen ging inzwischen in das Eigentum eines örtlichen Fördervereins über. Damit ist der Verkauf von Kirchen in einer anderen evangelischen Ortkirche bereits Realität geworden. Dennoch, so ist sich Bernd Janowski vom Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg sicher, es ist der richtige Weg für Saaringen. Er verweist dabei auf die Brandenburger Realität: Fast jeder Pfarrer sei heute für mehrere, in der Bausubstanz stark beschädigte Kirchen zuständig. Dies führe auch zur Resignantion und Ohnmacht.
Nicht anders ist die Situation in Mecklenburg-Vorpommern. Laut Aussage des dort tätigen Vereins gäbe es rund 1100 Dorfkirchen, 700 in Mecklenburg und 400 in Vorpommern. Problematisch kommt hinzu, daß die Bevölkerungsdichte im Norden viel zu gering ist, so sind die Kirchen erst recht nicht in der Lage, allein für die Bauten einzutreten.
Dennoch, so kam es auch bei diesem Forum zum Ausdruck, jede Dorfkirche gibt dem Ort sein eigenes Gepräge und ist es wert, daß sich Menschen für deren Erhalt einsetzen. Und je mehr Gemeinden und Initiativen Erfolg haben beim Retten ihrer alten Kirchen, umso mehr Engagierte finden den Mut, es ebenfalls zu versuchen. Damit die Kirche auch in Zukunft im Dorfe bleiben kann.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 08.11.1998