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Bistum Görlitz

Verständigung trotz schwieriger Geschichte

Schlesier-Forum

Jauernick (at) - Mitte September wurde in Münster der Seligsprechungsprozeß für den Jugendseelsorger der Grafschaft Glatz, Gerhard Hirschfelder, feierlich eröffnet. Der junge Seelsorger war, für die Belange der Seelsorge eintretend, in das KZ Dachau verschleppt worden und dort umgekommen. Über 50 junge Menschen aus Deutschland und Polen beschäftigten sich kürzlich in Jauernick bei Görlitz unter anderem mit dem Leben des Kaplans, den Zeitumständen und ihren Auswirkungen.

Anlaß war das Herbst-Forum der Gemeinschaft für deutsch-polnische Verständigung (gdpv), Jugendverband im Heimatwerk Schlesischer Katholiken, das sich regelmäßig mit historischen Themen befaßt. "Schlesien im Dritten Reich" war das Thema, wobei sich die Tagung auf den Zeitraum zwischen 1933 und 1939 beschränkte. Die Kriegszeit soll im Herbst 1999 behandelt werden.

Einführend berichtete Dr. Helmut Neubach detailliert über den Aufstieg der NSDAP im Raum zwischen Görlitz und Gleiwitz, der der Entwicklung in anderen Teilen Deutschlands durchaus vergleichbar sei. Beschreibungen der Wege bedeutender Akteure wie die der Gauleiter Brückner und Wagner veranschaulichten die Entwicklung von der ersten Gründung der NSDAP in einer Breslauer Gastwirtschaft zu einem totalitär organisierten Gau.

Völlig anders als im Reich und im Sudetenland verlief die Entwicklung im nach dem Ersten Weltkrieg polnisch gewordenen Ostoberschlesien: Dort versuchten katholische Politiker dem Zeitgeist aktiv entgegen zu treten. Das Wirken Eduard Pants, das Dr. Pia Nordblom beschrieb, verdeutlicht dieses letztlich erfolglose Bemühen. Die dort in den 20er Jahren die deutschen Interessen prägenden katholischen Parteien verloren im heftigen Ringen ihren Einfluß, nationale Parteien erstarkten auch durch finanzielle und organisatorische Unterstützung aus dem Reich.

Tief griff die Nazi-Politik in den Alltag der Menschen ein: Bernard Linek vom staatlichen Schlesischen Institut in Oppeln zeigte dies in seinem Beitrag über die Germanisierung von Orts- und Familiennamen auf. Was slawisch klang, wurde mit einem deutschen Namen versehen. So wurde nicht nur die oberschlesische Stadt Kandrzin nach dem SA-Mann Heydebreck benannt, auch kleine Weiler bei Görlitz tragen noch heute die damals verordneten neuen Namen. So hieß der Tagungsort Jauernick-Buschbach bis in die 30er Jahre Jauernick-Niecha.

Das Schicksal der Juden zwischen Machtergreifung und Reichspogromnacht schilderte Jana Leichsenring aus Berlin. In Oberschlesien waren sie noch bis 1937 durch die Genfer Konvention nach der Volksabstimmung relativ geschützt. In den Abkommen nach der Abtretung Ostoberschlesiens an Polen waren den in West- und Ostoberschlesien lebenden nationalen Minderheiten relativ große Freiheitsrechte zugestanden worden. Als nationale Minderheit waren auch die Juden anerkannt, die so von den Vereinbarungen profitieren konnten. Nach Ablauf des Abkommens wurden sie auch in Schlesien in voller Härte Opfer des Holocaust. Eine der wenigen Beratungsstellen, die Juden nutzen konnten, befand sich in Beuthen: Dort wirkte, vom Breslauer Kardinal Bertram beauftragt, Gräfin Magnis für die getauften "Nichtarier".

Der Oppelner Historiker Maciej Borkowski ergänzte mit einem Beitrag über die Oppelner Juden und ihre Gemeinde. Die Rolle der katholischen Kirche in dieser Zeit ist umstritten. Das Beispiel Kaplan Hirschfelders, den gdpv-Mitglied Michael Hirschfeld vorstellte, ebenso wie des Breslauer Jugendseelsorgers Morschner, sein Leben wurde von Matthias Lempart von der gdpv skizziert, zeigen jedoch, daß von einer Nähe zum System schwerlich die Rede sein kann. Jegliche Aktivitäten der Kirche wurden eingeschränkt und behindert, Zuwiderhandlungen hart geahndet.

Professor Joachim Kuropka aus Vechta warnte davor, die damaligen Möglichkeiten zu überschätzen. Die Kirche in Schlesien befand sich in Niederschlesien in der Diaspora, in Oberschlesien wegen der teilweise polnischsprachigen Seelsorge unter einem besonderen Druck. Kardinal Bertram habe bei der Auswahl der Mittel seines Widerstandes sich stets bewußt sein müssen, daß nicht er selbst, sondern seine Priester und Diözesanen unter den Folgen zu leiden hatten. Der Weg Kaplan Hirschfelders und auch der heiligen Edith Stein - sie wurde als getaufte Jüdin als Reaktion auf ein Hirtenwort der niederländischen Bischöfe verschleppt - verdeutlichen dies.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 45 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 08.11.1998

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