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Aus der Region

Deutsch-tschechische Tagung über Böhmen, Mähren und Schlesien

Ackermann-Gemeinde

Magdeburg - Kürzlich fand im Magdeburger Roncalli-Haus ein Kulturkongreß der Ackermann-Gemeinde statt. In Zusammenarbeit mit der katholischen Akademie des Bistums Magdeburg und der Christlichen Akademie Prag führte das Institutum Bohemicum, das Kultur- und Bildungswerk der Ackermann-Gemeinde, diese deutsch-tschechische Kooperationstagung für Multiplikatoren in der Kultur- und Bildungsarbeit durch. Die in München ansässige Ackermann-Gemeinde bemüht sich seit Jahren um die Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen. Das Thema der jetzigen Tagung lautete: "Böhmen, Mähren, Schlesien - eine Kulturlandschaft europäischer Prägung". Über 150 Interessenten, zu ungefähr gleichen Teilen aus Deutschland und Tschechien, waren gekommen

Der Magdeburger Bischof Leo Nowak hieß die Teilnehmer willkommen: "Das Miteinander der Gemeinschaft im ,Haus Europa' kann nur dort mit wirklichem Leben erfüllt werden, wo sich Menschen ihrer Gemeinsamkeiten bewußt werden: ihrer gemeinsamen kulturellen Wurzeln, der gemeinsamen Interessen bei der Wahrung des Friedens, eines gemeinsamen Fundaments im christlichen Welt- und Menschenbild." Damit sind auch die wichtigsten Aspekte der Tagung angedeutet

Die "gemeinsamen kulturellen Wurzeln" beleuchteten Professor Ludger Udolph, Dresden, und Professor Arnulf Rieber, Bamberg. Der Literaturhistoriker, Slavist und Bohemist Udolph gab einen Überblick über das kulturelle Leben in Böhmen vom 12. Jahrhundert bis zur Wende 1989/90: Entstehung, Vernetzung und Nutzung der (Literatur-)Sprachen, Rolle der Dynastien, Feudalherren und Klöster, Jan Hus, die Gemeinde der Böhmischen Brüder sowie die bis heute spürbaren Folgen des im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert entstandenen Nationalismus für die Kultur in Böhmen. Professor Rieber beschäftigte sich mit humanistischen Anschauungen bei Johannes von Tepl, Johann Amos Comenius, Bernard Bolzano und Jan Patockas

Die von Bischof Nowak erwähnten "gemeinsamen Interessen bei der Wahrung des Friedens" deutete Dr. Alena Wagnerova, Saarbrücken/Brünn, an. In ihrem Vortrag stellte sie als eine der großen Frauen für ein europäisches Menschenbild die als Gräfin von Kinsky im Jahre 1843 geborene Bertha von Suttner vor, die zur bekanntesten Vorkämpferin der Friedensbewegung wurde. Aber auch die von Wagnerova beschriebene Olga Fierz, die zusammen mit Premysl Bitter vielen Kindern half und deren Leben rettete, ist in diesem Zusammenhang ebenso zu nennen wie Milena Jesenska, die 1938 in ihren Reportagen die deutsche Politik, nicht aber die Deutschen an sich kritisierte, und mit den damals Verantwortlichen der Tschechischen Republik wegen deren Unfähigkeit einer Zusammenarbeit mit den sudetendeutschen Demokraten hart ins Gericht ging

Mit dem Gegenteil des von Bischof Nowak erwähnten christlichen Welt- und Menschenbildes, nämlich "Nationalismus und Kommunismus", setzte sich Dr. Jan Sokol, Mitglied des Beraterkreises von Präsident Vaclav Havel, auseinander. Als "zwei Gespenster und Ungeheuer, auf deren Veranlassung Millionen von Menschen getötet wurden und die noch immer - besonders in modernen Gesellschaften - florieren" bezeichnete er Nationalismus und Kommunismus, die erhebliche Schäden an den Gesellschaften angerichtet und die gewachsenen Strukturen fast vernichtet hätten. Heute sei eine Gleichgültigkeit und Apathie gegenüber allem Öffentlichen, der Politik, häufig sogar eine feindliche Einstellung gegenüber dem Staat und festen Gesellschaftsstrukturen zu beobachten. Doch auch die Erwartung, daß der Staat eine vollkommene Absicherung bietet und für ein sorgenfeies Leben sorgt, sei symptomatisch für moderne Gesellschaften. Die Bedeutung religiöser Bindungen, Gruppen und Gemeinschaften habe in diesem Prozeß abgenommen. "Mit Staunen und Schrecken ist zu beobachten, wie viel von der früher konstatierten Religiosität nur Fassade war." So jedenfalls Sokols Bilanz für Tschechien, wo auch vorchristliche Institutionen an Bedeutung verloren hätten. Er berichtete vom Schwund der Verläßlichkeit der Familien und von sinkenden Geburtenraten. Zwei Drittel der in Tschechien gestorbenen Menschen würden ohne jedes Zeremoniell verbrannt und deren Asche verstreut. "Man muß sich klar werden, daß die Veränderungen der Gesellschaften sehr tief sind."

Welche christlichen Botschaften sind in das Haus Europa zu übernehmen? Der Prager Professor Petr Pitha empfahl hierfür, sich das Leben herausragender böhmischer Persönlichkeiten anzuschauen: die Landesheiligen Wenzel, Adalbert, Agnes und Johannes Nepomuk, den Reformator Johannes Hus, den Pädagogen Comenius, den Gründer der ersten tschechoslowakischen Republik, Thomas G. Masaryk, den Wissenschaftler Gregor Mendel sowie Dichter wie Franz Kafka oder Karel Capek. "Der Ort Böhmen ist für die Kultur Europas nicht wegzuleugnen. Man sollte aber auch sehen, was in Böhmen für das Wohl Europas gelitten wurde", wie etwa bei der "unsinnigen Evakuierung" der Deutschen nach dem Krieg

Markus Bauer / tdh

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 46 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.11.1998

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