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Aus der Region

Pater Damian

Durch die Sinne Sinn finden

Pater Damian Meyer Durch unsere Sinne, durch Hören, Sehen, Riechen, Berühren und Verkosten, nehmen wir uns und unsere Umwelt wahr. Ohne diese sinnlichen Zugänge wären wir in uns selbst verschlossen. Es gäbe kein Fragen und Denken, keine Begegnung und Zuwendung. Unsere Sinne sind die Tore zur Wirklichkeit. Wer gut sehen und hören kann, wer aufmerksam und achtsam ist, dem erschließen sich die tieferen Dimensionen der Wirklichkeit. Auch die gläubige Gotteserfahrung geschieht nicht ohne unsere Sinne. Das ist vor allem deutlich in der Person Jesu. Viele kommen nur in der "sinnlichen" Begegnung mit ihm zum Heil: Der Taubstumme, dem Jesus die Finger in die Ohren legt und dessen Zunge er mit Speichel berührt; die gebeugte Frau, der er die Hände auflegt; die Blinden, denen er das Augenlicht schenkt ... Diese sinnlich-sinnhafte Art der Gotteserfahrung setzt sich fort in den Sakramenten der Kirche und auch in Segnungen und Riten.
Wer aufmerksam ist, dem eröffnet sich im Schauen auf die Vorgänge in der Natur, auf die Landschaft und den Wechsel der Jahreszeiten eine Dimension der Wirklichkeit, die zum Gleichnis wird. Ein schönes Beispiel gibt ein chinesischer Weiser: Im alten China fragten einen Weisen einmal seine Schüler: "Du stehst nun schon so lange vor diesem Fluss und schaust ins Wasser. Was siehst du denn da?" Der Weise gab keine Antwort. Er wandte den Blick nicht ab von dem unablässig strömenden Wasser.

Endlich sprach er: "Das Wasser lehrt uns, wie wir leben sollen: Wohin es fließt, bringt es Leben und teilt sich aus an alle, die seiner bedürfen. Es ist gütig und freigebig. Die Unebenheiten des Geländes versteht es auszugleichen. Es ist gerecht. Ohne zu zögern in seinem Lauf stürzt es sich über Stauwände in die Tiefe. Es ist mutig. Seine Oberfläche ist glatt und ebenmäßig, aber es kann verborgene Tiefen bilden. Es ist weise. Felsen, die ihm im Lauf entgegenstehen, umfließt es. Es ist verträglich. Aber seine sanfte Kraft ist Tag und Nacht am Werk, das Hindernis zu beseitigen. Es ist ausdauernd. Wie viele Windungen es auch auf sich nehmen muss, niemals verliert es die Richtung zu seinem ewigen Ziel, dem Meer, aus dem Auge. Es ist zielbewusst. Und sooft es auch verunreinigt wird, bemüht es sich doch unablässig, wieder rein zu werden. Es hat die Kraft, sich immer wieder zu erneuern. "Das alles", sagte der Weise, "ist es, warum ich auf das Wasser schaue. Es lehrt mich das rechte Leben."

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 11 des 51. Jahrgangs (im Jahr 2001).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 18.03.2001

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