Menschen hinter Gittern nicht allein lassen
Straffälligenhilfe
Leipzig (jak) - Aus ihrer Tasche zieht Helga Brachmann zwei Briefe. "Die habe ich heute aus dem Gefängnis bekommen, Matthias (Name geändert) schreibt fast täglich", berichtet sie. Matthias ist einer von zwei Gefangenen, um die sich Helga Brachmann sorgt. Einmal im Monat fährt sie in den Strafvollzug, den Rest der Zeit schreibt sie Briefe, und wie Matthias fast täglich. Helga Brachmann gehört zu einer Gruppe von ehrenamtlichen Mitarbeitern der Ortscaritas Leipzig, die sich seit gut einem Jahr in der Gefangenenbetreuung engagieren
Auf die Frage, warum sie diesen schweren Dienst auf sich nimmt, antwortet Helga Brachmann: "Ich bin dafür da, etwas zu tun, und kann nicht nur in meinen eigenen vier Wänden rumsitzen." So fand sie nach dem Tod ihres Mannes in der Leipziger Volkszeitung einen Bericht über das Caritas-Projekt und fühlte sich gleich angesprochen. Dabei spielten auch persönliche Gründe eine Rolle, saß doch ihr Sohn in den siebziger Jahren in einem Stasi-Gefängnis der DDR. "Und damals kümmerte sich niemand um die Menschen hinter Gittern", meint sie. Dazu kommen Erfahrungen aus einem Briefwechsel, der Helga Brachmann schon vor ihrer Caritas-Zeit mit verschiedenen Gefangenen verband
Insgesamt hat Helga Brachmann inzwischen mit drei Gefangenen persönlichen Kontakt gehabt. Zuerst in der Untersuchungshaft Leipzig, nun in der Vollzugsanstalt Torgau. Zwei Kontakte bestehen immer noch, der dritte war eher eine schlechte Erfahrung
Enttäuschungen sind bei der Gefangenenbetreuung nie ausgeschlossen, ja gehören zum Alltag. Um sich darüber auszutauschen und Hilfen anzubieten, lädt die Caritas Leipzig einmal im Monat zu einem Erfahrungsaustausch in ihre Räume auf der Elsterstraße ein. Mit dabei ist Michael Gerczewski, der sich im Auftrag der Caritas um Gefangene kümmert. Er betonte, daß schon mit den Besuchen und den Briefen ein wichtiger Dienst übernommen wird. Begleitungen im Ausgang und Hilfen bei der Wiedereingliederung erwartet er hingegen nicht. Aber jeder kann selbst entscheiden, wie weit er mit Unterstützung der Caritas gehen will. "Es kann nicht das Ziel sein, die Gefangenen in unsere Wohnungen einzuladen", betonte eine junge Frau, die sich ebenfalls in der Arbeit engagiert. Und Michael Gerczewski ergänzt: "Die Erwartungen sind oft größer als das, was ein Ehrenamtlicher leisten kann." Zudem besagen Erfahrungen, daß mit der Haftentlassung der Kontakt in der Mehrheit der Fälle ohnehin zu Ende ist
Neben Helga Brachmann gehört auch Heidi Vogt zu den Ehrenamtlichen der Caritas. Zuerst half sie in der Obdachlosenarbeit, nun besucht auch sie Gefangene. Und sie hat durchaus den Mut, ihren "Schützling" auch in seiner Ausgangszeit zu betreuen. Unterstützung in ihrem Dienst erhält sie von ihrem Mann und ihren zwei Söhnen. Ohne deren Zustimmung und Beistand würde es nicht gehen, betont sie. Doch, so merkt sie kritisch an, begegnen ihr auch viele Verwandte und Bekannte eher kritisch, wenn sie von ihrem Engagement hinter Gefängnismauern erfahren. "Aber es gibt auch Menschen, die sich für diese Arbeit interessieren, Menschen, von denen ich es nie erwartet hätte", freut sie sich
Die Straffälligenhilfe des Caritasverbandes arbeitet seit 1992 im Fachbereich Gefährdetenhilfe. Allein von Januar bis September 1997 wurden in drei Vollzugsanstalten 263 Kontakte aufgenommen. Die Sozialarbeiter erkannten schnell, daß ein weitaus größerer Bedarf an persönlichen Kontakten in diesem Bereich besteht. So kam es 1998 zu der Idee, an drei Vortragsabenden auf die Thematik hinzuweisen. Die Teilnehmerzahl lag zu Beginn bei 20 Personen, zum dritten Abend kamen 34 Interessierte. Zum Abschluß erfolgte noch eine Exkursion in die Justizvollzugsanstalt Leipzig. In der Folge entwickelte sich ein Stamm von derzeit zwölf ehrenamtlichen Helfern, die im Bereich Straffälligenhilfe die Caritas unterstützen. Dennoch, so Michael Gerczewski, besteht großer Bedarf an weiteren Ehrenamtlichen, die ebenfalls etwas für Menschen hinter Gittern tun möchten. Und Helga Brachmann und Heidi Vogt können dazu nur ermutigen. Heidi Vogt brachte es in die Worte: "Alle Probleme dieser Welt kann ein Einzelner nicht lösen, sich einem oder zwei Menschen zuwenden, das ist aber immer möglich."
Kontaktadresse: Caritasverband Leipzig, Michael Gerczewski, Elsterstraße 15 in 04109 Leipzig, Tel. 0341/96 36 120.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 22.11.1998