Gründerin Chiara Lubich zu Gast in Berlin
Fokularbewegung
Berlin (dw) - "Von Deutschland ist die Spaltung der Kirchen ausgegangen, von Deutschland muß auch die Einheit ausgehen", sagte Chiara Lubich, die Gründerin der Fokolarbewegung, während eines Berlin-Besuches am 19. November. Bei einer Bußtags-Feier des Ökumenischen Rates Berlin-Brandenburg sprach sie in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zum Thema "Aus der Liebe leben"
"Es bedarf einer ökumenischen Spiritualität, gerade in Anbetracht der jüngsten Irritationen, die sich an der gemeinsamen Erklärung über die Rechtfertigungslehre entzündet haben", sagte der katholische Kardinal Georg Sterzinsky in seiner Einführung
Chiara Lubich zeigte sich zuversichtlich für den weiteren Fortgang der Ökumene, sprach aber auch von der besonderen Verantwortung, die die deutschen Christen über das eigene Land hinaus für die Einheit der Kirchen trügen. Berliner Mitglieder der Fokolarbewegung erinnerten sich daran, daß die Italienerin bei ihrem letzten Berlin-Besuch am 9. November 1969 mit ähnlich großer Zuversicht den Fall der Mauer angekündigt hatte - der trat auf den Tag genau 20 Jahre nach ihrer damaligen Rede ein
Lubich war in den 60er Jahren insgesamt neunmal in Berlin und traf hier auch mit den DDR-Bürgern zusammen, die mit der geistlichen Bewegung in Kontakt gekommen waren. "Diese Stadt hatte ich schon immer in besonderer Weise im Herzen", sagte sie am Rande der Bußtags-Veranstaltung. Bei ihrem ersten Berlin-Aufenthalt um die Zeit des Mauerbaus sei ihr deutlich geworden, daß Deutschland "zwei Kreuze zu tragen" habe, die Trennung der Kirche und die Spaltung des Volkes. Sie habe sich in diesem Zusammenhang an die heilige Teresa von Avila erinnert, die gesagt habe: "Wenn Gott einen Menschen leiden läßt, dann, weil er ihn liebt."
Das Referat-Thema der Fokolar-Gründerin falle durch seine Einfachheit auf, sagte der evangelisch-lutherische Altbischof von Berlin, Martin Kruse. "Die Fokolarbewegung scheut sich nicht, das Einfache, Direkte des Evangeliums anzunehmen und umzusetzen." Ihn selbst habe in den 70er Jahren bei seinem ersten Kontakt mit der Bewegung, die in der katholischen Kirche entstanden ist, das "Urevangelische" fasziniert, eine Ausrichtung am Evangelium, wie er sie zuvor bei Katholiken noch nicht kennengelernt hatte. Ähnlich wie der Westberliner Altbischof äußerten sich auch evangelische Christen, die sich der Fokolarbewegung in der DDR angeschlossen hatten
Seit der Begegnung verschiedener geistlicher Bewegungen mit Papst Johannes Paul II. am zurückliegenden Pfingstfest in Rom sucht die Fokolarbewegung verstärkt den Kontakt mit anderen Bewegungen. Während ihrer Deutschlandreise, die sie unter anderem auch nach Aachen, Münster und München führte, vertiefte Chiara Lubich insbesondere die Beziehungen zur Gemeinschaft von San Egidio, deren Programm im Engagement für die Armen liegt, und gab den Anstoß für gemeinsame Projekte
Die geistlichen Bewegungen gewinnen Lubich zufolge zunehmend an Bedeutung für die katholische Kirche, aber auch für die Einheit zwischen den Kirchen. "Die Ortskirchen brauchen die Bewegungen, und die Bewegungen brauchen die Ortskirche", sagte sie
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 29.11.1998