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Bistum Görlitz

Kleine Gemeinde mit großem Engagement

Peitz

Peitz (ks) - "Es ist gut, daß du anderer Meinung bist." Mit diesem Satz verabschiedet sich Bürgermeister Heinrich Gellner (60) aus einem Telefonat, bei dem es um die Neuwahl eines Fachausschuß-Vorsitzenden geht

Seit 1992 ist der Sprecher des Peitzer Pfarrgemeinderates ehrenamtlicher Bürgermeister der Kleinstadt unweit von Cotttbus. Er ist bei weitem nicht der einzige Peitzer Katholik, der sich nach der Wende der gesellschaftlichen Verantwortung stellt. Gleich neun Glaubensgenossinnen und -genossen bekamen das Mandat für die erste frei gewählte Stadtverordnetenversammlung. Dabei ist Peitz "finsterste" Diaspora. Über katholisches Leben vor der Reformation ist nichts in Erfahrung zu bringen aus dem Städtchen der Peitzer Karpfen, die weit über die Grenzen der Mark Brandenburg hinaus bekannt sind. Und danach? Der Stadtchronist Franz Groger weiß aus dem Jahre 1920 zu berichten, daß es eine einzige katholische Familie in Peitz gab

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das anders. Viele Katholiken aus Schlesien und einen ganzen Treck aus Mährisch Ostrau, darunter Heinrich Gellner mit seiner Familie, verschlug es nach Peitz. Die nächste katholische Gemeinde war elf Kilometer entfernt in Cottbus. Heute hat Peitz etwa 6 500 Einwohner, darunter etwa 100 praktizierende Katholiken. Was lag für die katholischen Christen vor über 50 Jahren näher, als selbst Gemeinde zu bauen. In verschiedenen Räumen waren sie in den ersten Jahren zu Gast bevor 1968 ihre Pfarrkirche St. Josef der Arbeiter geweiht wurde. Der Straßenname "An der Glashütte" sagt alles über die Vergangenheit des Kirchengebäudes der Peitzer Katholiken aus. Eine Glasschleiferei war ihre Kirche in den Jahren zuvor. Den Umbau führten die Gemeindemitglieder fast komplett in Eigenleistung durch

So aktiv wie sie das Gebäude um- und ausbauten, es unterhielten und modernisierten und das Pfarrgrundstück pflegten, so mischten sie sich nach der Wende ein, als es galt, politische Verantwortung zu übernehmen. Da war der Dekorateur Klaus Neumann, die Bibliothekarin Evelin Sczesny, der Bildschnitzer Klaus Fromelius, der damalige Student Christoph Neumann, die Beschäftigten aus dem Kraftwerk Jänschwalde Andreas Chrobot und Harald Cichon. Anfangs auch Hans Gahler und Barbara Pochanke. Nicht von allen Peitzer Bürgern wurde mit Wohlwollen quittiert, daß nach der Entmachtung der "Roten" nun eine parteilose, katholische Gruppe ins Rathaus einzog. Inzwischen sind einige aus den unterschiedlichsten Gründen wieder ausgeschieden. Dafür sind andere Katholiken, wie Sabine Sczesny, Leiterin der Außenstelle der Kreiscaritas Cottbus im Aussiedlerheim Peitz, an ihre Stelle getreten. Auch im sonstigen gesellschaftlichen Leben der Kleinstadt, bei der Freiwilligen Feuerwehr oder dem Peitzer Männerchor, sind Katholiken präsent

Bereits in der dritten Legislaturperiode, jeweils über fünf Jahre, ist Heinrich Gellner nun ehrenamtlicher Bürgermeister. "Nein, leicht ist es nicht immer. Unpopuläre, aber notwendige Entscheidungen bereiten manche schlaflose Nacht", gesteht er. In den letzten Jahren konnte das Rathaus aus dem Jahre 1804 saniert werden. Stolz zeigt der Bürgermeister den stilvollen Stadtverordneten-Sitzungssaal

Seit Bestehen des Pfarrgemeinderates ist der Diplomökonom deren Sprecher. Die meisten anderen der politisch Aktiven arbeiten ebenfalls in Kirchenvorstand oder Pfarrgemeinderat mit. Vor der Wende war Gellner auch Mitglied der Aktion katholischer Christen in Berlin und Vorsitzender dieser Bewegung in der damaligen Apostolischen Administratur Görlitz. Auch im Diözesanrat der Katholiken im Bistum Görlitz ist er seit dessen Gründung Mitglied

Mit vielen, meist unspektakulären, Aktivitäten wirkt die kleine St.-Josef-Gemeinde nach außen. Fast 400 Begegnungsnachmittage haben Peitzer Familien in ökumenischer Gemeinsamkeit für Aussiedler gestaltet. In Peitz ist die Brandenburger Landesstelle für Aussiedler untergebracht. Die Christen haben ermöglicht, daß nach einem Wortgottesdienst jeweils Zeit ist für Gespräche bei Kaffee und selbstgebackenem Kuchen. Sie betreuen darüber hinaus eine Kleiderkammer

In diesen Tagen beginnt die Gemeinde St. Josef der Arbeiter den 30. Kirchweihtag. Ganz am Anfang war die von Cottbus aus seelsorglich betreut worden. Inzwischen erlebte sie fünf eigene Ortspriester. Ein Priester ging aus der Gemeinde hervor. Heute wird sie wieder von Cottbus aus seelsorglich versorgt. Die Sorge um den Fortbestand der Gemeinde liegt in den Händen mündiger Laien

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 48 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 29.11.1998

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