"Wenn wir lieben, werden wir reich"
Herst-Lese-Fest in der Edith-Stein-Schule in Erfurt
Erfurt (as) -"Mit dem Herbst-Lese-Fest wollen wir ein Zeichen setzen für Toleranz, Gewaltlosigkeit und ein friedliches Miteinander", sagt der Direktor der Edith-Stein-Schule, Siegfried Schnauß. Anlässlich des Geburtstages der Namenspatronin trafen sich Schüler, Eltern und Lehrer am 10. Oktober im Erfurter Gymnasium. "Das Herbstfest der fünften Klassen gibt es schon seit sechs Jahren", sagt Schnauß. Das Herbst-Lese-Fest feiere man jetzt zum zweiten Mal. "Lese" sei dabei in einem doppelten Sinn zu verstehen: Erst gibt's die Lesung, dann den fränkischen Wein. Organisiert werde das Ganze von der Elternvertretung der Schule. Auch Weihbischof Hans-Reinhard Koch ist gekommen.
Mit Liedern, Gedichten und kleinen Theaterstücken stimmen die Schüler der fünften Klassen die Besucher auf den Herbst ein. Bekanntes und Unbekanntes ist zu sehen. Ein unglücklicher Froschkönig zum Beispiel kann erst wieder geheilt werden, wenn er die Strümpfe eines glücklichen Menschen anzieht. Und der Zuschauer sieht, dass es manchmal nicht so einfach ist, einen Menschen zu finden, der nicht unglücklich ist.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung aber steht die Lesung. Nach der Schriftstellerin Stephanie Zweig im vergangenen Jahr ist es diesmal die Preisträgerin des Titels "Frauen in Europa -Deutschland 2001", Philomena Franz. Auch die Preisträgerin des Vorjahres, Thüringens Wissenschaftsministerin Dagmar Schipanski, ist anwesend und hält ein Grußwort. Philomena Franz ist in Stuttgart geboren und in einer Musikerfamilie aufgewachsen. Mit 21 Jahren wird sie 1943 wegen ihrer Sinti-Abstammung in das KZ Auschwitz deportiert. Sie flieht, wird gefasst und wieder ins Lager gebracht. Dort ist sie immer wieder auf der Suche nach Verwandten und Bekannten, nach Überlebenden. Sie findet ihre Schwester und erkennt sie nicht -der Kopf geschoren, der Körper bis auf die Knochen abgemagert. Philomena Franz überlebt die Hölle wie durch ein Wunder. Nach dem Krieg heiratet sie einen Mann, dessen Familie durch den Holocaust ausgelöscht wurde. Auch später bleiben ihr Schicksalsschläge nicht erspart. Bei einem Unfall sterben drei ihrer insgesamt fünf Kinder. Um die seelischen Nachwirkungen ihrer Erlebnisse im Konzentrationslager zu überwinden, beginnt sie 1975 Märchen, Gedichte und Bücher zu schreiben. Mit ihrem Buch "Zwischen Liebe und Hass" möchte sie die Erinnerung an den Holocaust wach halten.
Philomena Franz liest in der Aula der Edith-Stein-Schule aus ihren Büchern. Betroffene Stille. "Ich bin nicht hier, um anzuklagen, sondern weil ich etwas vermitteln will", sagt sie. Das, was sie erlebt hat, möchte sie vor allem an die jüngere Generation weitergeben, um zu verhindern, dass sich die Grausamkeiten wiederholen. "Mir liegen besonders die jungen Menschen am Herzen", versichert Philomena Franz. Noch einmal geht sie die Wege nach Auschwitz, Ravensbrück und Oranienburg, schildert Menschen, die ihr begegnet sind, gute wie böse. Sie erzählt von den Schmerzen, die sie ertragen musste. Und immer wieder die Frage: Mein Gott, warum? Noch heute trägt sie ihre Häftlingsnummer 10550 am linken Oberarm. Natürlich, auch Hass habe sie verspürt. Aber der Weg des Hasses ist für sie der falsche. Er erzeugt nur neue Gewalt, neues Blutvergießen. So schreibt sie: "Wir Überlebenden sind gezeichnet. Aber eines hat mich mein Leben gelehrt. Wenn wir hassen, verlieren wir, wenn wir lieben, werden wir reich." Die Sängerin und Musikerin ist trotz leidvoller Erfahrungen den Weg der Liebe gegangen und hat verzeihen können. Gerade in einer Zeit, so Direktor Schnauß, wo Gewalt zur politischen Auseinandersetzung gehört, könnte der Weg der Philomena Franz eine Alternative sein.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 19.10.2001