Das Verfahren ist im Gange
Seligsprechung
Das Verfahren zur Seligsprechung von Alois Andritzki ist in vollem Gange. Als Vertreter des Bischofs ist Pfarrer Dr. François Reckinger (Zschopau) dafür zuständig. Pfarrer Reckinger wurde 1934 in Luxemburg geboren und empfing 1958 die Priesterweihe. Nach Tätigkeiten in Luxemburg, Köln und Bujumbura (Burundi) ist er seit 1993 im Dienst des Bistums Dresden-Meißen. Pfarrer Reckinger ist Autor eines Buches über Wunder -ein Thema das im Zusammenhang mit einer Seligsprechung von besonderer Bedeutung ist (Wenn Tote wieder leben. Wunder: Zeichen Gottes oder PSI?, Aschaffenburg 1995). Ein Gespräch mit ihm über das Seligsprechungsverfahren:
Frage: Herr Pfarrer Reckinger, bei der Eröffnung des Seligsprechungsverfahrens für Alois Andritzki sagten Sie, Seligsprechung sei ein geistlicher Vorgang. Was meinen Sie damit?
Reckinger: Damit meine ich, daß es darum geht, zu prüfen, ob Gott diese Seligsprechung will. Eine Seligsprechung kann nicht Menschenwerk sein, sondern es geht darum, den Willen Gottes zu erkennen: Will er, daß dieser verstorbene Christ in besonderer Weise als Beispiel hingestellt und öffentlich von der Kirche um seine Fürbitte angerufen wird
Frage: Sie sagten auch, es gebe Heiligkeit einmal für jeden Getauften und dann für die von der Kirche Heiliggesprochenen. Würden Sie das bitte etwas näher erläutern
Reckinger: Im Neuen Testament wird das Wort "heilig" nur für die auf Erden lebenden Christen gebraucht. Wir sind durch die Taufe grundsätzlich heilig geworden durch Gott. Das ist uns von ihm als Geschenk ins Herz gelegt worden. Wir haben entsprechend die Pflicht, diese Vorgabe in unserem Verhalten wahr zu machen. Die Christen, die schon zu Gott hinübergegangen sind, werden im Neuen Testament, näherhin im Hebräerbrief, als "die schon vollendeten Gerechten" bezeichnet. Später hat sich im christlichen Sprachgebrauch die Praxis herausgebildet, das Wort "Heilige" nur noch für die Christen, die in Gott vollendet sind, zu gebrauchen. Das hat seinen guten Sinn. Aber die Gefahr besteht dabei, daß wir dann meinen, die Pflicht, heilig zu sein, abgeben zu können. So sollte Heiligenverehrung nicht gedacht sein, sondern diese kanonisierten Heiligen und Seligen sind so etwas wie Leuchttürme, die zeigen, wo es für uns alle lang geht
Frage: Auf den Gebetsbildchen ist aufgedruckt: "Auffallende Gebetserhörungen sind wichtig für ein Seligsprechungsverfahren. Wer solche nach Anrufung der Fürbitte von Alois Andritzki erfahren hat, ist eingeladen, dies dem Cyrill-Methodius-Verein e.V. mitzuteilen." Kann ein Einzelner feststellen, ob ein Ereignis eine Gebetserhörung ist? Ist das nicht sehr subjektiv?
Reckinger: Das ist in sehr vielen Fällen eine subjektive Erfahrung und von anderen Menschen nicht nachzuvollziehen. In einer Reihe von Fällen ist es jedoch sehr wohl zu überprüfen. Ich denke an eine Frau, die in den 50er Jahren in Neapel in einem Krankenhaus lag und eine Uterusruptur hatte, deren Tod man von einer Stunde zur anderen erwartete und für die eine Nacht hindurch von den Schwestern und vom Chirurgen gebetet wurde - auch unter Anrufung eines verstorbenen Christen, dessen Heiligsprechung damals anstand - und die dann am folgenden Morgen völlig gesund war. Das läßt sich überprüfen. Da gibt es eine Diagnose der Ärzte, die Aussagen der Krankenschwestern sowie aller Zeugen, und es gibt den Befund der Patientin am folgenden Tag
Ich habe ein sehr handgreifliches Beispiel einer Gebetserhörung genannt. Zwischen derart deutlichen Fällen und denen, die bloß subjektiv sind, gibt es eine Menge von Graden und Stufen. Es ist aber wichtig, von vielen Fällen zu wissen, wo Menschen überzeugt sind, eine Gebetserhörung erfahren zu haben. Das ist zuerst einmal ein Barometer für die Lebendigkeit der Verehrung eines Verstorbenen, zum Beispiel von Alois Andritzki. Wenn wir wissen, daß viele seine Fürsprache angerufen und gute Erfahrungen gemacht haben, dann können wir im Namen und Auftrag der Kirche prüfen, ob die eine oder andere unter den gemeldeten Erhöhrungen ein Wunder im strengen Sinn des Wortes darstellt
Frage: Nicht jedes Wunder ist eine Heilung. Was versteht die Kirche unter Wunder?
Reckinger: Die Heilungen sind unter den anerkannten Wundern die weitaus zahlreichsten: Über 1000 seit 1588, davon etwa die Hälfte im 20. Jahrhundert. Daneben gibt es vor allem einige Wiedererweckungen klinisch Toter, die letzte 1951 in Österreich und acht Fälle von Vermehrung von Lebensmitteln, die letzte 1949 in Spanien. Ein Wunder ist ein Ereignis, von dem man nach gewissenhafter Prüfung sagen muß: Das kann, soweit wir den Ablauf der Welt kennen, nicht nach den normalen Gesetzlichkeiten eingetreten sein. Da muß eine höhere, intelligente Ursache eingegriffen haben
Wir wissen zum Beispiel, daß Wasser den Berg hinunter- und nicht hinaufläuft. Wenn aber Menschen eine Wasserleitung bauen, kann Wasser unter Umständen auch den Berg hinauflaufen, weil sich eine höhere, intelligente Ursache - in diesem Fall der Mensch - eingeschaltet hat. Wenn wir sehen, daß etwas entgegen den normalen Gesetzlichkeiten geschieht, und annehmen müssen, daß kein Mensch dies verursacht haben kann, müssen wir an Gott als mögliche Ursache denken. Dann sind noch die Umstände zu prüfen: Sind sie so, daß das Ereignis als ein sinnvolles Zeichen von seiten Gottes für uns Menschen begriffen werden kann? Es muß ein Ereignis sein, das in einem Zusammenhang von Glaube und Gebet eingetreten ist und von dem nicht bekannt ist, daß Ereignisse derselben Art außerhalb eines solchen Zusammenhangs vorkommen würden. Um nicht mißverstanden zu werden: Es ist nicht so, daß der Kranke, Verletzte oder Behinderte selbst glauben und beten müßte. Denn unter den Geheilten gibt es auch Neugeborene, Kinder unter drei Jahren und bewußtlose Koma-Patienten
Frage: Zurück zu den Seligen und Heiligen: Warum brauchen wir als Christen solche Mittler? Reicht es nicht, wenn wir zu Gott selbst beten?
Reckinger: Diese Frage stellt sich sicherlich. Aber ich glaube, man kann sie beantworten. Es gibt nur einen einzigen Mittler, Jesus Christus, und den haben wir unbedingt nötig, um zu Gott zu kommen. Andere Personen können immer nur in Abhängigkeit von ihm Mittler sein. Sich ausdrücklich an sie zu wenden ist nicht unbedingt notwendig, aber es ist schön, und es gehört zu einem vollständigen Christenleben, daß nicht nur jeder allein betet, sondern daß man auch Schwestern und Brüder anspricht: "Bete mit mir! Bete für mich!" Auch die evangelischen Christen tun dies, indem sie in dieser Welt lebende Schwestern und Brüder ansprechen, damit sie mit ihnen und für sie beten. Die Anrufung der Heiligen ist eigentlich nichts anderes, als daß wir gegenüber schon verstorbenen und in Gott vollendeten Christen dasselbe tun, wie wenn wir unter Lebenden zu jemandem sagen: "Bete mit mir!" Zusammengefaßt könnte man sagen: Ein Heiliger oder ein Seliger ist ein verstorbener Mit-Christ, der mit mir und für mich betet und der ein Leben geführt hat, von dem die Kirche sagt, daß es ein beispielhaftes Leben entsprechend dem Evangelium war
Frage: Wenn jemand glaubt, nach Anrufung von Alois Andritzki eine Gebetserhörung erlebt zu haben, wie soll er sich verhalten?
Reckinger: Vor allem soll er Gott danken. Und dann wäre es gut, wenn er es dem Cyrill-Methodius-Verein mitteilen würde. Denn je mehr Rückmeldungen wir haben, um so mehr können wir belegen, daß eine Bewegung an der Basis vorhanden ist, daß die Idee einer Seligsprechung nicht am "grünen Tisch" ausgedacht worden ist, sondern daß eine nichtoffizielle Verehrung existiert
Frage: Es gibt Leute, die sagen: Meine Verwandten sind wie Alois Andritzki von den Nationalsozialisten ermordet worden. Warum wird aber nur Alois Andritzki seliggesprochen?
Reckinger: Ich würde mich freuen, wenn prozentual mehr Laien zu den Selig- und Heiliggesprochenen gehören würden, weil es ja viel mehr Laien als Priester und Ordensleute gibt. Unter den Selig- und Heiliggesprochenen sind die Priester und Ordensleute sicher überrepräsentiert. Aber wir können das nicht sehr beeinflussen. Wenn wir zum Beispiel aus demselben Bereich einen Laien hätten, hinsichtlich dessen eine Bewegung an der Basis vorhanden wäre, dann würden wir sagen, wir bearbeiten zunächst einmal die Sache des Laien. Aber wir haben in unserer Diözese zur Zeit nun einmal nur die eine Person, um die herum eine solche Bewegung existiert
Frage: Seligsprechungsprozeß - das klingt nach einem Gerichtsverfahren. Soll hier jemand angeklagt werden?
Reckinger: Von 1588 bis 1983 wurde dieser Vorgang wie ein Gerichtsverfahren gehandhabt. Man ging davon aus, bevor jemand positiv bewertet wird, muß man die gleichen Vorsichtsmaßregeln anwenden, wie wenn man jemanden bestraft. Es war dieselbe Vorgehensweise. Der Postulator, das heißt der Anwalt des Antragstellers, hatte zugunsten der Seligsprechung zu plädieren. Ihm stand - wie in einem Strafprozeß - der Promotor fidei, der Anwalt des Glaubens, gegenüber. Der Promotor fidei, der die Argumente gegen die Selig- oder Heiligsprechung vorbrachte, wurde auch Advocatus diaboli - Teufelsanwalt - genannt. Wenn dieser tüchtig war, hatte der Postulator oft keinen leichten Stand und mußte immer wieder neue Argumente für die Seligsprechung beibringen. Das war natürlich gut, weil es der Wahrheitsfindung dienlich war
Seit 1983 wird nicht mehr die Form des Strafprozesses befolgt. Der Vorgang wird seither Verfahren genannt. Es ist weiterhin ein Rechtsakt, näherhin ein Verwaltungsakt. Aber auch heute müssen die Tugenden des Kandidaten und gegebenfalls sein Martyrium sowie die auf seine Fürbitte erfolgten Wunder bewiesen werden. Es plädiert heute niemand mehr dagegen. Aber es gibt einen Promotor iustitiae, das heißt einen Anwalt des Rechtes, der sicherzustellen hat, daß die geltenden Rechtsvorschriften eingehalten werden
Frage: Wie wird das Verfahren für Alois Andritzki ablaufen?
Reckinger: Wir müssen zusätzlich zu den zahlreichen Zeugen, die der Cyrill-Methodius-Verein beigebracht hat, auch allgemein Zeugen laden, und wir haben damit begonnen. Es ist ja ein Aufruf des Bischofs erfolgt, der an alle Priester und Pfarrgemeinden gegangen ist und noch weiter publik gemacht werden soll. In diesem Aufruf heißt es, daß alle, die etwas zweckdienliches wissen, aussagen sollen, einerlei, ob sie für oder gegen das Verfahren sind. Denn es ist vorgeschrieben, auch die Gegner der Sache, um die es geht, als Zeugen zu hören. Das ist eines der Zeichen dafür, daß streng geprüft wird
Frage: Was passiert, wenn Zeugen gegen eine Seligsprechung aussagen und deren Argumente nicht ganz von der Hand zu weisen sind?
Reckinger: Dann werden die Fakten, die sie bezeugen, auf ihre Tatsächlichkeit genauso geprüft wie die positiven Angaben, und daraufhin wird abgewogen. Zum Beispiel hat Bernadette Soubirous aus Lourdes, als sie Internatsschülerin war, mit einer Freundin in den Garten ihrer Schule hinuntergeschaut, in dem es schöne Erdbeeren gab. Es war zwar nicht verboten, Erdbeeren zu pflücken, aber es war verboten, in den Garten zu gehen. Da bat Bernadette ihre Freundin, ihr einen ihrer Schuhe zu geben. Bernadette warf diesen in den Garten und sagte zur Freundin, jetzt hätte diese eine Entschuldigung dafür, daß sie in den Garten gehen müsse, um ihren Schuh zu holen. Dabei sollte sie dann gleichzeitig Erdbeeren pflücken und mitbringen. Als es um die Heiligsprechung von Bernadette ging, wurde dieser Vorfall als Negativpunkt vorgebracht und allen Ernstes diskutiert. Aber glücklicherweise hat man dem nicht stattgegeben. Heute, denke ich, würde man das eher positiv bewerten. Mir macht das Bernadette auf jeden Fall sehr sympathisch, denn es zeigt, daß sie ein richtiges Mädchen war und nicht durch eine falsche Frömmigkeit verdreht
Argumente gegen eine Seligsprechung bewirken nicht gleich einen Abbruch des Verfahrens, sie sind für den guten Verlauf sogar hilfreich, wenn dabei klar wird, daß es sich um Kleinigkeiten handelt oder um Vorkommnisse, die in Wirklichkeit gar nicht als negativ zu bewerten sind, und daß die Gegenseite nichts anderes an Kritikpunkten hat finden können
Frage: Wie lange kann sich ein Verfahren hinziehen?
Reckinger: Franz von Assisi ist schon zwei Jahre nach seinem Tod heiliggesprochen worden. Da gab es eine weltweite Bewegung, auch über den von ihm gegründeten Orden hinaus. Es gibt aber auch Verfahren, die sich über Jahrhunderte hinziehen, sei es, weil die Bewegung, die dahinterstand, erlahmt ist, sei es, weil man hinsichtlich wichtiger Fragen zu keinem eindeutigen Ergebnis kommt. Im Fall Andritzki hängt hinsichtlich der Dauer viel davon ab, ob sein Tod als Martyrium anerkannt wird. Das kann nur durch die Kongregation für Heiligsprechungen in Rom geschehen. Wenn das der Fall ist, kann für die Seligsprechung von der Notwendigkeit eines Wunders dispensiert werden. Ansonsten muß auf ein solches gewartet werden
Frage: Kann man in etwa sagen, wann das Verfahren auf Bistumsebene abgeschlossen sein könnte?
Reckinger: Ich hoffe, daß wir innerhalb eines Jahres alle Zeugen befragt haben. Danach geht die Akte nach Rom. Wie lange es dort dauern wird, ist, wie gesagt, schwer abzuschätzen. Ich hoffe, daß es keine Jahrzehnte sein werden. Wir sollten das in Gottes Hand legen, glauben, beten und nach dem Beispiel von Alois Andritzki zu leben versuchen
Interview: Rafael Ledschbor
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 06.12.1998