Gemeinde lebt von engagierten Laien
Vratislavice
Liberec-Vratislavice - "Vielleicht ist es ganz gut, daß wir Laien ran müssen", sagt Katharina (18). "So machen wir uns wenigstens Gedanken über unser Christsein und die Zukunft der Kirche. Wenn unser kleines Pfarrzentrum richtig fertig sein wird, haben wir vielleicht schon eigene Familien und sind dann noch mehr für das Leben in unserer Gemeinde verantwortlich."
Katharina, Michael, Eliska und Marian sitzen mit Gemeindeassistentin Evelyn Bernhard und Diakon Václav Vánek im Pfarrhaus der Dreifaltigkeitsgemeinde im Liberecer (Reichenberger) Stadtteil Vratislavice. Die jungen Leute haben gerade die Vesper gebetet. Nun sprechen sie über ihre Pfarrgemeinde und über die Lage der katholischen Kirche in Tschechien überhaupt. Auch vom Bau der neuen Winterkapelle ist die Rede. Alle freuen sich schon ein bißchen darauf, wenn der Neubau hinter dem Pfarrhaus einmal fertig sein wird: eine moderne Kapelle mit 80 Sitzplätzen, ein kleiner Werktagsgottesdienst- und ein Meditationsraum sowie im Keller der Pfarrsaal. Außerdem entsteht ein kleiner Anbau für weitere Räume
Die jungen Leute engagieren sich aktiv am Leben und den Aufgaben in ihrer Pfarrei: Katharina bietet gemeinsam mit Daniela (18) jeden Freitag einen Spielnachmittag für die Kinder aus dem Stadtteil an. Außerdem kümmert sie sich gemeinsam mit Radek (21) um ein drogenabhängiges Mädchen. Marian (18) ist einer der drei Zivildienstleistenden, die in der Pfarrei ihren Dienst tun und vor allem beim Kapellenbau beschäftigt sind. Auch Michael (24) hat schon viele Stunden auf der Baustelle mitgeholfen. Außerdem nimmt der Ökonomiestudent derzeit an einem vierzehntäglich stattfindenden katechetischen Grundkurs teil, der von der Diözese Litomercice veranstaltet wird, um Laien für das Erteilen des Religionsunterrichts zu qualifizieren
"Wir Christen müßten viel aktiver sein und unseren Freunden und Arbeitskollegen von Christus erzählen", sagt der 24jährige. Katharina stimmt ihm zu. "Nach der Revolution sind viele Leute in die Kirche gekommen. Auf dem Prager Wenzelsplatz haben die Demonstranten christliche Lieder gesungen... Doch heute haben sich viele wieder abgewandt." Eine Erfahrung, die Katharina, Michael und die anderen auch in Vratislavice gemacht haben und die sie immer wieder beschäftigt. Katharina: "Für uns ist es ein Problem, daß so viele unserer Mitschüler wieder aus der Gemeinde weggegangen sind."
"Nach der Wende hatten sich auf meine Einladung in der Schule hin 100 Kinder zum Taufunterricht angemeldet", erzählt Diakon Václav Vánek, der die Pfarrei seit 1990 als Pfarradministrator leitet. "Gekommen sind 80, getauft haben wir schließlich gut 40 Kinder. Aktiv zur Gemeinde gehören von ihnen jetzt noch diese und einige weitere Jugendliche. Doch wenn von ihnen wenigstens die Hälfte hierbleibt und christliche Familien gründet, so hat die Gemeinde durchaus Zukunft", sagt der Diakon, und fügt nachdenklich hinzu: "Wir haben in unserer Ortskirche zuwenig erfahrene Leute, die die religiös Interessierten in die Tiefe des Glaubens führen konnten oder können. Dadurch ist eine große Zahl zunächst der Kirche gegenüber aufgeschlossener Menschen wieder weggegangen", so Vánek. "Inzwischen herrscht aber auch eine Apathie gegen alles Religiöse, auch die Sekten sind nicht besonders erfolgreich", sagt Michael. "Die Menschen schauen nur auf das Materielle. Auch unsere Eltern sind nicht alle für den Glauben." Marian sieht Defizite in der Kirche: "Leider wissen manche Würdenträger wenig über das wirkliche Leben der Menschen." Katharina beklagt, daß in der Vratislavicer Gemeinde kein Priester lebt. Diakon Vánek ieht in dieser Hinsicht jedoch wenig Chancen: Die Diözese Litomercice (Leitmeritz) habe 433 Pfarreien, aber nur 120 Priester. "Von diesen", so Vánek, "sind ein Drittel älter als 70 Jahre, ein weiteres Drittel älter als 60 Jahre. Und im Seminar in Prag seien nur einige wenige Priesteramtskandidaten aus der Diözese. Es wird also sehr darauf ankommen, daß es in der Gemeinde immer aktive Laien gibt", sagt der Diakon. Das haben Katharina und Michael, Eliska und Marian längst begriffen
Katharina hat die Erfahrung gemacht: "Wenn sich junge Leute auf die Kirche einlassen, dann merken sie, daß der Glaube und die Kirche nichts Fremdes sind, sondern das Leben bereichern. Unsere Gemeinschaft ist so offen, daß immer Leute dabei sind, die noch nicht getauft sind, aber die dennoch bei uns gern gesehen sind. Es ist schon ganz gut, daß wir Laien vieles selbst in die Hand nehmen müssen."
Mit ihrer Advents-Aktion 1998 lädt die Redaktion alle Tag-des-Herrn-Leser ein, durch Überweisung eines Betrages auf obiges Konto die Gemeinde von Vratislavice beim Aufbau ihrer Kapelle zu unterstützen
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 06.12.1998